Freitag, 20. Dezember 2013

Mein Haus, mein Auto, meine Yacht!

Ein Bekannter von mir prahlt seit Neuestem gerne mit seinem Besitz. Er hat sich ein Haus zugelegt mit einem größeren Grundstück dabei, geht zwei bis drei Mal pro Jahr Skifahren (und das wohl in irgendwelchen Nobel-Skiorten) und ist zu Weihnachten angeblich bei dem Angehörigen irgendeines arabischen Königshauses eingeladen.
Abgesehen davon, dass mich Prahlerei immer etwas peinlich berührt, fallen mir vor allem zwei Dinge ins Auge:

1) Es ist eigentlich eher seine beruflich sehr erfolgreiche Freundin, die ihm diesen Lebensstil ermöglicht.
2) Seine Prahlerei betrifft Dinge, die nicht auf seine Verdienste, Fähigkeiten oder Tugenden zurückzuführen sind.

Sei auf keinen fremden Vorzug stolz. Wenn das Pferd sich stolz erhebend spräche: wie schön bin ich! so könnte man sich das gefallen lassen. Wenn aber du selbst voll Stolz sprächest: welch ein schönes Pferd habe ich! so wisse, daß du auf die Vorzüge deines Pferdes stolz bist. Was ist nun aber dein? Der Gebrauch deiner Vorstellungen! Wenn du also von deinen Vorstellungen einen naturgemäßen Gebrauch machst, dann magst du stolz sein; denn alsdann bist du stolz auf einen Vorzug, der dir gehört.  

Epiktet, Handbüchlein der Moral

Wir dürfen also gerne stolz sein, wenn wir etwas geleistet haben, mit unserer Vernunft oder unseren Tugenden. Dass wir in der Lage ist einen Geldbeutel zu öffnen um etwas Schönes zu "shoppen" fällt definitiv NICHT unter diese Kategorie
Tragisch ist, dass mein o.g. Bekannter durchaus über Fähigkeiten und Kompetenzen verfügt, offensichtlich geben diese ihm aber nicht die erwünschte Zufriedenheit. Wir sollten unsere Lebensziele daher sorgfältig wählen. Ist unser erklärtes Ziel die Anhäufung von Besitz und ein luxuriöser Lifestyle? Oder wollen wir uns weiter entwickeln, unsere Fähigkeiten zur Blüte bringen und dem Wohl unserer Gesellschaft dienen? Die Stoiker zumindest waren der Ansicht, dass wir in letzterem wahre Zufriedenheit finden würden.
 

Montag, 16. Dezember 2013

Eine sinnlose Frage





Eine bittere Gurke? Wirf sie weg! Dornensträucher im Weg? Weich ihnen aus! Das ist alles! Frage nicht noch: Wozu gibt es solche Dinge in der Welt?

Mark Aurel, Selbstbetrachtungen Buch VIII, Kapitel 50

Meine Tochter stellt mir viele Fragen über die Welt und ich beantworte sie so ehrlich und kindgerecht wie möglich. Allerdings ist sie gerade in der "Warum"-Phase, und ich stellte irgendwann fest, dass Warum-Fragen oft keine sinnvolle Antworten ergeben. So ist beispielsweise die Anatomie des Menschen einfach so wie sie ist. Wissenschaftlich gesehen versucht man Anatomie zu verstehen und zu beschreiben, allerdings gibt es keine sinnvolle Antwort auf die kindliche Frage, warum der Mensch denn nur eine Nase, oder nur zwei und nicht drei Hände hat (und weiß Gott, die dritte Hand könnte man manchmal wirklich brauchen!).

Ähnlich ist es mit Fragen wie "Warum musste dieser oder jener sterben?" oder "Warum gibt es Krieg, Hass, Gewalt?" Bei vielen dieser Fragen kann man sich an Kausalketten entlang hangeln. "Nun, er hatte Krebs, der wurde zu spät erkannt, weil er nie zum Arzt ging, Krebs ensteht durch eine fehlerhafte Programmierung im Erbgut, diese hat sich wohl im Lauf der Evolution eingeschlichen und medizinisch sind wir noch nicht soweit ihn wirkungsvoll zu bekämpfen!" Das ist die Warum-Frage auf der Sachebene abgehandelt. Eigentlich jedoch steckt hinter dieser Art von Fragen etwas anderes, nämlich der Wunsch nach der Sinnhaftigkeit des Daseins und der Ereignisse. Der Wunsch nach einem höheren Wesen, das die Welt weise und gerecht regiert. Der Wunsch nach einem Papa im Himmel, der schon weiß was er tut.
Zugegeben, auch die Stoiker glaubten teilweise an eine weise regierende Allvernunft. Die Versuch der Erklärungen nahmen bisweilen skurrile Formen an, wenn Chrysipp z.B. behauptete, die Götter würden Wanzen schicken, damit die Menschen nicht zu lange schlafen, und Mäuse damit sie sich an Ordnung gewöhnen und nicht alles herum liegen lassen!
Ich persönlich halte es eher mit Mark Aurels Tanz der Atome und der wohl dosierten Anwendung des Fragewortes "Warum". Der Grund ist, dass ich glaube dass die Frage nach einem höheren Sinn eines Verlustes den Opfern noch zusätzliche psychische Qualen bereitet, da dieser Sinn oft nicht zu finden ist. Oder fällt dem Leser ein Grund ein, warum eine höhere Allvernunft es zulassen sollte, dass ein Kind sexuell missbraucht und zu Tode gequält wird? Falls ja, wäre ich dankbar ihn mitgeteilt zu bekommen! Diese Einladung gilt auch für Dich, Gott!
Wenn wir allerdings akzeptieren, dass die Welt (zumindest für unsere Erkenntnisfähigkeit) ein blinder und chaotischer Ablauf von unzähligen Kausalketten ist, und uns nicht auch noch mit Fragen nach dem "Warum" quälen, können wir die bittere Gurke einfach wegwerfen und weiter gehen.

Freitag, 13. Dezember 2013

Stoa und die Religion, die Zweite

                                                        Darstellung Senecas im Chorgestühl des Ulmer Münsters; Quelle: Wikipedia

"Manche Dinge werden immer wieder neu entdeckt!" So oder so ähnlich lautete kürzlich ein Kommentar hier im Blog. Und das stimmt! Je mehr man sich mit Philosophie und Religion, oder auch "Lebenshilfe" befasst, desto klarer wird einem, dass es nur noch wenig Neues unter der Sonne geben kann. Alle Gedanken wurden so oder so ähnlich schon einmal formuliert.
Was mir merkwürdig erscheint, und worüber ich gestolpert bin, ist, dass die gleichen Verhaltensweisen unter den einen Grundannahmen krank machen, während sie unter anderen Prämissen Spaß machen und Leib und Seele zusammenhalten.
Hier hatte ich schon einmal etwas über den qualitativen Unterschied zwischen Selbstverleugnung aus religiöser Sicht und Selbstverleugnung aus sportlicher und den  Genuss steigernder Sicht anklingen lassen.
Interessanterweise scheinen Stoa und Christentum sich in der Antike gegenseitig beeinflusst zu haben, was soweit ging, dass es sogar einen (gefälschten) Briefwechsel zwischen Seneca und Paulus gibt.
Viele Ansichten im Katholizismus sind der Stoa zunächst mal ganz ähnlich. So zum Beispiel, dass es in der eigenen Verantwortung liegt die Kardinal-Tugenden Tapferkeit, Mäßigung, Gerechtigkeit und Weisheit zu entwickeln. Dass man sich in Gottes Wille ergeben soll, quasi das eigene Schicksal akzeptieren. Dass Askese wie Fasten, barfuß laufen, zu kalt angezogen zu sein, freiwillige Armut etc. den Geist und den Willen stärken für kommende Herausforderungen. Die Spannung zwischen aktivem tätig sein für das Gemeinwesen und dem kontemplativen Rückzug.

Was für mich persönlich allerdings der entscheidende Unterschied zwischen Stoa und Katholizismus ist, ist das drauf pfropfen eines persönlichen, liebenden Gottes, der sich um jeden einzelnen Menschen kümmert.
Ab diesem Moment kommt nämlich zur Selbstverantwortung und Willensfreiheit des Menschen noch eine ungute Komponente hinzu, die all diesen Übungen einen unheilsamen Aspekt hinzufügt.
WENN es diesen Gott gibt, den ich auch lieben soll, warum mutet er mir dann überhaupt dieses oder jenes Schicksal zu? Warum hat er mich dann so fehlerhaft gestaltet, dass ich die Tugenden nicht automatisch liebe? 
WENN es ihn gibt, ist er denn zufrieden mit meinen asketischen Übungen? Und tue ich sie dann nicht auch weil ich ein sündiger Mensch bin? Und sollte ich dann nicht mein ganzes Leben büßen wie Luther gesagt hat? Kommt dann zu dem Aspekt "Askese als Training" nicht doch der des körperfeindlichen Selbsthasses hinzu?
WENN es diesen Gott gibt, wie ihn die Bibel beschreibt, kann ich dann noch sagen: Ich habe keine Kontrolle über das Handeln meiner Mitmenschen? Ist das dann nicht eine Form des Kainschen: "Soll ich meines Bruders Hüter sein?" Muss ich mich dann nicht aus lauter Mitleid um alles und jeden kümmern, egal ob ich mich dabei aufreibe? Viele Beispiele dafür finden sich in den Lebensgeschichten der sogenannten Heiligen!

Ein weiterer, entscheidender Aspekt für mich ist, dass die Stoa ein durchweg positives Menschenbild vertritt. Der Mensch ist zur Erkenntnis des Guten fähig, hat die Freiheit sich für da Gute zu entscheiden, und ist gleichzeitig endlicher Mensch, der sich nicht um alles und jeden kümmern kann. Stößt ihm etwas Schlimmes zu, ist es nun mal Schicksal aber er hat alle Ressourcen in sich, um damit umzugehen.

Das Christentum behauptet von sich ebenfalls, ein positives Menschenbild zu vermitteln. Aber hier beruht es zum einen ganz auf der Gottesebenbildlichkeit, d.h. aus sich selbst heraus ist der Mensch erst mal Garnichts.
Zum anderen habe ich in Predigten und Fürbitten immer das Gefühl, dass das Christentum zunächst mal defizitorientiert ist. Da ist immer von den Gebrochenen, und den Beladenen und den Kranken und Schwachen, und den Arbeitslosen und…und… und… die Rede. Und kein Wort davon, dass diese vielleicht selbst Ressourcen haben sich aufzurichten, nein, das kann nur der liebe Gott! Es ist immer alles so verjammert, so dauerbetroffen. Der Gipfel des Ganzen bestand darin, dass eine Dame die sich selbst offensichtlich gerne als die Kummertante de Kirchengemeinde sah regelmäßig leicht enttäuscht schien, wenn ich ihr auf die Frage nach meinem Befinden die Antwort:"Gut, danke!" gab.
Darüber hinaus werden in Predigten immer wieder Dinge angesprochen und angemahnt, die nach der Trichotomie der Kontrolle nun WIRKLICH außerhalb unserer Möglichkeiten liegen, wie der Bürgerkrieg in Turkmenisch-Abchasien, die Menschenrechtsverletzungen in Rajputtistan, der Hunger in Kongolesien und überhaupt der gesamte Weltfrieden. Dadurch entsteht meines Erachtens eine psychische Spannung zwischen Können und Sollen, die nicht aufgelöst wird.

Nicht falsch verstehen! Es geht hier nicht um eine Ethik des Nichthelfens. Seneca hat ausdrücklich die Hilfe für die Mitmenschen befürwortet. Wenn wir uns im Sinne der Stoiker als eine große Familie sehen, geht das auch gar nicht anders. Allerdings Hilfe zur Selbsthilfe, mit Verstand und Augenmaß, und vor allem ohne sich in den Jammerstrudel über die schlechte Welt mit hineinziehen zu lassen.

Mir ist auch klar, dass  beispielsweise im sogenannten Gelassenheitsgebet eine christliche Komponente der Trichotomie der Kontrolle existiert. Dass auch immer wieder darauf hingewiesen wird beide Pole, Aktion UND Kontemplation, zu leben.

Ich kann für mich nur sagen: Mich hat die Installation eines himmlischen Vaters in meinem Kopf eher gehemmt und krank gemacht, denn da war plötzlich einer der irgendwie nie zufrieden zu sein schien mit meinen Fähigkeiten als endlicher Mensch.

Heute bin ich nur mir selbst und meinen Werten Rechenschaft schuldig, und mein Leben ist kein bisschen weniger erfüllt oder sinnvoll.


Sonntag, 1. Dezember 2013

“Tu was du kannst, mit dem, was du hast, dort, wo du bist.”

Theodore Roosevelt

Freitag, 29. November 2013

Kannst Du Dein ABC?

Albert Ellis gründete die Rational Emotive Verhaltenstherapie auf der stoischen Lehre, dass erst unsere Bewertungen und Meinungen ein von außen kommendes Ereignis in unseren Augen gut oder schlecht erscheinen lassen.
Zur Verdeutlichung benutze er das ABC, indem er A das auslösende Ereignis zuordnete, B unsere Vorstellungen, Meinungen, Interpretationen und C die Reaktion, meistens in Form einer emotionalen Regung.
Ein einfaches Beispiel:

A Die Ampel ist rot. Eine einfache Tatsache, zunächst mal weder gut noch böse.
B Meine Interpretation: "Schon wieder eine rote Ampel, immer habe ich Pech, jetzt dauerts wieder ewig bis es grün, wird, wahrscheinlich komme ich zu spät zur Arbeit, dann meckert der Chef wieder...."
C Meine Reaktion:  Ärger, Stress, Angst...

Die Schwierigkeit besteht darin, sich Schritt B bewußt zu machen. In unserem Alltagsempfinden nehmen wir B kaum wahr, sondern liefern uns direkt unserer emotionalen Reaktion aus. Wir springen also direkt von A nach C und halten unsere Reaktion für absolut plausibel und gerechtfertigt.

Eine Kollegin, die im gleichen Büro arbeitet wie ich, singt recht gerne. Meistens dann wenn sie irgendwelche Routine-Arbeiten erledigt, wie ihren Schreibtisch putzen oder den Gummibaum gießen. Dann trällert sie fröhlich vor sich hin. Ihre Stimme ist nicht schlecht, allerdings bemerkte ich irgendwann, dass sie mir damit fürchterlich auf die Nerven fiel.

Als ich die ABC-Schritte im Kopf durchging, registrierte ich zum ersten Mal, dass B ungefähr so aussah: "Jetzt singt sie wieder, die meint wunders wer sie ist, als ob jeder ihre Singerei hören wollte, was denkt die eigentlich, wer sie ist..."

Als mir klar wurde, dass mein Genervtsein nur von diesem inneren Dialog herrührte unterbrach ich ihn sofort, und siehe da: Plötzlich blieb da lediglich der Sinneseindruck  einer Frau die sang zurück, und mich überkam ein merkwürdig friedliches Gefühl.

Es lohnt sich, diese Übung mal auszuprobieren!

Donnerstag, 28. November 2013

Was mir im Wege steht WIRD mir zum Weg!

- Mark Aurel, Selbstbetrachtungen V, 20


Montagmorgen, Du kommst zur Arbeit, zwei Deiner Kollegen sind überraschend krank und ihre Arbeit bleibt an Dir hängen.
Du bist auf dem Weg in den wohlverdienten Urlaub und gerätst in einen Riesenstau auf dem Weg zum Flughafen.
Deine Freundin eröffnet Dir, dass sie mit einem anderen schläft und Du bitte bis zum 15. des Monats ausziehen möchtest.

Wer kennt sie nicht, die Schleudern und Pfeile des Geschicks?

In seinem Buch „Greeks to Geeks“ zitiert der Autor und Musiker Rohan Healy obigen Ausspruch Mark Aurels, glaubt aber, dass es sich dabei um einen buddhistischen Lehrsatz handele. Der Kern dieser Aussage ist, dass alle o.g. und ähnlichen Situationen des Lebens nicht nur einfach Kacke sind, sondern gleichzeitig etwas enthalten. Nämlich eine Lehre, eine Herausforderung oder einen positiven Aspekt. Bis man Letzteres findet, können unter Umständen Jahre ins Land ziehen, und auch die Lehre aus einer Situation kann zunächst einmal nicht klar erkennbar sein. Der Herausforderung aber können wir uns sofort stellen. Erfordert diese Situation Tapferkeit? Oder Selbstbeherrschung? Zeigt sie uns worüber wir die Kontrolle haben und worüber nicht? Erfordert sie die Tugend der Mäßigung? Enthält sie eine Versuchung zum "Foul Play"?
Epiktet sagt, man solle sich jeder Situation gegenüber klar machen, welche eigenen Ressourcen man gegenüber Schwierigkeiten besitzt.

Montagmorgen, Du kommst zur Arbeit, zwei Deiner Kollegen sind überraschend krank und ihre Arbeit bleibt an Dir hängen.
Du ermahnst Dich zur Ruhe und Übersicht, ordnest Die anstehenden Arbeiten nach Prioritäten, erledigst das Wichtigste zuerst, delegierst das weniger wichtige und vermeidest es ins Lamentieren Deiner Kollegen mit einzufallen.
Du bist auf dem Weg in den wohlverdienten Urlaub und gerätst in einen Riesenstau auf dem Weg zum Flughafen.
Du machst Dir klar, dass Du jetzt und hier nichts mehr ändern kannst, ermahnst Dich zur Ruhe, und überlegst schon einmal Alternativen für Deinen Urlaub.
Deine Freundin eröffnet Dir, dass sie mit einem anderen schläft und Du bitte bis zum 15. Des Monats ausziehen möchtest.
Harte Nuss zugegeben! Aber auch hier gilt: Das Verhalten der Anderen kannst DU nicht kontrollieren. Ein Mensch hat Dich enttäuscht, Alltag! Lass Deinen Schmerz zu, ermahne Dich aber so schnell wie möglich wieder zur Vernunft und mach Dir klar, dass es a) die große Liebe nicht gibt und b) kein anderer Mensch, keine Beziehung, sonder nur Du selbst Dir den Himmel oder die Hölle auf Erden schaffst.

Alle Beispielsituationen ändern sich dadurch nicht, das KÖNNEN sie auch garnicht, aber DU änderst Dich. Und wir erinnern uns: Wir, unsere Meinungen und unser Handeln ist das einzige was unserer Kontrolle unterliegt!




Sonntag, 10. November 2013

Stoa und die Religion

Immer wieder begegnet mir die Behauptung, dass ein Leben nach der stoischen Philosophie zu keinerlei Konflikten mit einer wie auch immer gearteten religiösen Überzeugung führt. Begründet wird das damit, dass die religiösen Vorstellungen der Stoiker selbst stark variierten. Vom Glauben an einen intelligenten, alles regelnden Gott bis hin zum reinen Tanz der Atome sind alle Überzeugungen vertreten. Die Stoa selbst verstand sich nicht als Religion. Von daher fehlen natürlich Dogmen, Rituale, unfehlbare Meister oder Priester, Gebete, Feste und was sonst noch alles dazugehört. Von daher könne man ruhig seine Religion ausüben und trotzdem nach stoischen Grundüberzeugungen leben und handeln.

Ich sehe das anders. Zum einen weil JEDE Art von Überzeugung die unser Dasein und unser Menschenbild betrifft zwangsläufig die Religion berührt. Zum andern weil es in nahezu jeder Religion, die nicht irgendwie verwässert oder modernisiert daher kommt, Vorstellungen und Handlungsanweisungen gibt, die mit der Stoa in Konflikt geraten.

Ich möchte das am Beispiel des Christentums erläutern:

- Das Christentum glaubt an einen persönlichen Gott, der auf unsere Gebete antwortet und reagiert. Daraus resultiert oft die Vorstellung, durch Gebete bespielsweise auf Krankheit, Tod, Unfälle etc. positiv einwirken zu können. Das gerät aber in Konflikt mit der Aufteilung der Dinge in kontrollierbare und nicht kontrollierbare.
- Das Christentum glaubt an die sogenannte Erbsünde. Im protestantischen Spektrum wird daher stark betont, dass der Mensch sich nicht aus eigener Kraft zum Guten hin entwickeln könne und ganz auf die Gnade Gottes angewiesen ist. Die Stoiker dagegen glauben, dass jeder Mensch die Fähigkeit hat Tugenden zu entwickeln und sich stetig zu verbessern.
- Vor dem Hintergrund, dass ich das Verhalten anderer Menschen nicht kontrollieren kann, und mich ihr Tun und Lassen daher nicht weiters anfechten solle verbietet sich aus Sicht der Stoa jegliche Art von Bevormundung, Predigt, Missionierung etc. Vor allem letzteres gebietet das Christentum aber ausdrücklich.
- Die Vorstellung eines Gottes der belohnt und bestraft führt unter Umständen zu der Überzeugung, dass ich durch mein Verhalten auf mein Schicksal einwirken kann. Beispielsweise könnte Gott gutes Verhalten mit einem besonderen Schutz belohnen, oder aber Krankheit, Unfall, Tod schicken um zu strafen. Auch das führt zu einer falschen Kontrollüberzeugung.
- Das Christentum sieht das Leben als Geschenk Gottes und lehnt daher jede Art von Euthanasie oder Suizid ab. Die Stoa erlaubt beides unter bestimmten Umständen

Bis auf das Konzept der Erbsünde betreffen die genannten Beispiel auch die beiden anderen abrahamitischen Religionen. Und Islam und Christentum sind nun mal am weitesten verbreitet.
Sicher, man könnte einwenden, die o.g. Beispiel entsprängen einer archaischen Art des Christentums, und hätten mit dem "modernen" Glauben nichts mehr zu tun. Dazu zwei Dinge:

- die Beispiele entsprechen genau dem Christentum wie ich es erlebt habe und erlebe, und wie es in konservativen und evangelikalen Kreisen gelebt und gelehrt wird.
- wer nicht mehr an einen persönlichen Gott glaubt, an die Wirksamkeit von Gebeten, an die Notwendigkeit der Gnade durch Jesus Christus, an Lohn und Strafe...welchen Grund hat derjenige dann noch sich Christ zu nennen?

Die Stoa von Marcel Dorfer



Auch im deutschsprachigen Raum gibt es Versuche, die Stoa für den Alltag des 21. Jahrhunderts handhabbar zu machen. Einer dieser Versuche ist das o.g. Buch. Obwohl das Anliegen des Autors absolut zu ehren ist,  scheitert der Anspruch des Buches ein Praxishandbuch zu sein an der Fülle von Informationen in nahezu unleserlicher Form. 
Der Autor reiht einen Schachtelsatz an den anderen, durchsetzt mit Klammern, Einschüben,Alternativformulierungen, Wiederholungen und Fachbegriffen. Die Übungen erschöpfen sich in stereotypen Anweisungen "man soll" über unrealistische Zeiträume hinweg.
Beispiel:
S. 60: "Die Tugend (àreté, virtus)- das Wesen des Guten; die in sich selbst einstimmige Vernunft; das abstrakte Ganze der Teile als solches, während tugendhafte Handlungen an ihr teilhaben (und Mittel zum Glück sind)- ist das grundsätzlich einzige Hilfsmittel des Menschen, das ihm zur Erreichung der Glückseligkeit im privaten wie auch im öffentlichen Leben zur Verfügung steht."

Im angelsächsischen Raum, der stark durch die Stoa beeinflusst wurde, ist es seit jeher gute Tradition, dass Fachbücher bei aller gründlichen Recherche und der hohen Kompetenz des Autors leicht und flüssig zu lesen sein müssen. Auf Fachtermini wird weitestgehend verzichtet, und der Anspruch ist es, dem Laien ein hochkomplexes Thema verständlich zu machen.

In Deutschland dagegen will der Autor eher mit seinem Fachwissen glänzen und zwingt den Leser, sich mit ihm aufs intellektuelle Hochreck zu schwingen. Mancher glaubt, je komplizierter er sich ausdrückt, desto wissenschaftlicher kommt er daher.


...schreibe, was zu schreiben ist, in einfachem Stile, wie es Dein Bedürfnis von Dir fordert, nicht um für Deinen Ruhm zu sorgen. -Seneca, Von der Gemütsruhe



Dienstag, 5. November 2013

Monismus ganz banal...

...oder mal ne Runde ums Haus laufen.

Heute habe ich mich geärgert! Und zwar richtig! Über so einen Idioten auf der Arbeit, der mich für eine Sache anmachte, mit der ich nichts zu tun hatte, und Versuche ihn zu informieren als "Belehrungen" abtat. Bei der ganzen Geschichte konnte ich den Eindruck nicht loswerden, dass ich ihm einfach unsympathisch war, und es ihm schlichtweg ein Vergnügen war, mich zu ärgern. Da er Kunde war blieb mir nichts übrig als mir auf die Zunge zu beißen.

Nun besitzt der Stoiker ja ein ganzes Arsenal an mentalen Techniken, mit Beleidigungen umzugehen. Letztlich laufen alle darauf hinaus, sich klar zu machen, dass man das Verhalten des Beleidigers nicht kontrollieren kann, dass man sich aber auch den hingehaltenen Schuh nicht anzuziehen braucht.

Nützte aber alles nichts.

Ich war immer noch sauer.

Dann ging ich zum Sport und tobte mich aus.

Und siehe da: Die Tatsachen hatten sich zwar nicht verändert, allerdings meine Haltung dazu. Ich spürte deutlich mehr Abstand zum Geschehenen, und es belastet mich nicht mehr allzusehr.

Manchmal glauben wir, wir könnten Probleme in unserem Geist auch nur mit unserem Geist lösen. Das ist das Erbe unserer Geist-Körper-Seele-Aufteilung, die wissenschaftlich nicht mehr haltbar zus ein scheint. Auch Dein Kopf, Dein Geist,  Dein Gehirn ist KÖRPER, und darauf angewiesen, dass die chemischen und elektrischen Prozesse darin reibungslos funktionieren. Fehlt es beispielsweise an dem Botenstoff Serotonin, sieht die Welt grau aus und wir fallen in Depressionen. Diese wiederum lässt sich nicht wegdiskutieren, es ist ein körperliches, ein materielles Problem.
Und wird Dein Körper aufgrund einer Auseinandersetzung mit Adrenalin geflutet, kannst Du selbiges nicht einfach "wegdenken".
Tust Du aber das, wozu es eigentlich da ist, indem Du kämpfst, fliehst oder eben Sport treibst, sprich Du tust das naturgemäße in dieser Situation, dann wird das Adrenalin abgebaut und plötzlich sind riesige Probleme und Auseinandersetzungen  gar nicht mehr so riesig.

Im Zusammenhang mit Zazen hat Muho einmal sinngemäß gesagt: "Deinem Geist ist es nicht egal, was Du mit Deinem Körper tust." Das bringt es ziemlich auf den Punkt. Also wenn die Probleme, der Stress und die Mitmenschen zu anstrengend werden: Lauf ein paar Runden ums Haus und schau was passiert!

Nicht die Dinge selbst beunruhigen die Menschen, sondern die Meinungen und die Urteile über die Dinge. Epiktet - Handbüchlein der Moral, 5

Montag, 28. Oktober 2013

Das UMZU-Problem

Ich lese gerade wieder diverse Veröffentlichungen zum Thema Gentleman. Wie ich in einem anderen Post bereits gesagt habe, gibt es sehr viel Deckungsgleichheit zwischen dem GM und dem Stoiker. Mark Aurel hat in seinen Selbstbetrachtungen viel über den Umgang mit seinen Mitmenschen geschrieben und forderte sogar, dass sich das Innere im Äußeren spiegeln solle. Er bezog es auf Körper und Mimik, aber hier sind wir nicht mehr weit weg von dem gepflegten Äußeren und der gelassenen Haltung des GM.

Nichtsdestotrotz stößt mir eine Sache bei der ganzen Etikette-Gentleman-Geschichte immer wieder auf: das zweckgebundene, auf ein bestimmtes Ziel gerichtete.
Sei ein Gentleman, und die Türen zum Traumjob, Traumhaus, zur Traumfrau und zur Traumgesellschaft steht Dir offen! Gewinne den Respekt und die Bewunderung der Anderen! Wirke überzeugend und überzeuge die Anderen!

Das nenne ich das UMZU-Problem. Ich benehme mich UM meine Wünsche ZU erfüllen. Ich kleide mich sauber und ordentliche UM sympathisch ZU wirken. Ich halte Türen auf, bringe Blumen mit, zahle im Restaurant UM Frauen ZU beeindrucken.

Abgesehen davon, dass Menschen sehr feine Antennen dafür haben, wann eine Handlung von Hintergedanken gesteuert wird, was ist, wenn gutes Benehmen und tugendhaftes Verhalten genau das Gegenteil des oben gesagten bewirken?

Wenn ich in einem kommunistischen Staat lebe, wo mir die Verkörperung des Gentlemans als Klassendünkel ausgelegt wird? Wenn ich im dritten Reich in der Straßenbahn für eine Jüdin den Sitzplatz räume und plötzlich als "Judenknecht" angefeindet werde? Oder wenn ich einfach in einer Umgebung lebe, die nur Spott und Hohn für meine Ambitionen übrig hat? Was ist, wenn mir das Wahre, Schöne und Gute nur Nachteile bringt? Lege ich es dann ab, weil ich es ja nur um des Vorteils willen verkörpern wollte?

Ein klares Nein! Bei den Stoikern geht es um mehr als nur den Karriere-Motor zu ölen. Nach ihnen gibt es außer der Tugend gar nichts Gutes, und ihr sollte ausschließlich um ihrer selbst willen nachgestrebt werden.

Das UMZU-Problem geht übrigens noch weiter: Laufen UM abZUnehmen; Zazen UM erleuchtet ZU werden; Singen UM berühmt ZU werden...wer bringt die Disziplin auf, um eines Fernziels willen Dinge zu tun die er hasst? Ich denke daher wir sollten ein gewisses amouröses Verhältnis zu den Dingen haben die wir tun, dann tun wir sie auch regelmäßig und gerne!

Die Tugend um ihrer selbst willen lieben? Das Richtige tun, weil die Belohnung dafür in der Handlung selbst liegt? Was für ein Quatsch, oder? Probiers doch einfach mal aus!

Samstag, 19. Oktober 2013

Die sechs Säulen des Selbstwertgefühls

Eines der besten Bücher die ich bisher zum Thema Selbstwert gelesen habe ist das o.g. von Nathaniel Branden. Anstelle seichter Wohlfühl- und Selbstliebepsychologie gepaart mit eine paar Affirmationen und etwas Wellness, stellt Branden 6 sogenannte Praktiken in den Mittelpunkt seiner Überlegungen:

1)  Bewußt leben
2) Sich selbst annehmen
3)  Eigenverantwortlich leben
4) Sich selbstsicher behaupten
5) Zielgerichtet leben
6) Integrität

Auch wenn bei manchen dieser Formulierungen zunächst der typische Ratgeber- / Selbsthilfetenor anzuklingen scheint, legt Branden diese Praktiken sachlich, pragmatisch und ohne jedes esoterische Geschwafel aus.
Meiner Ansicht nach handelt es sich bei diesen sogenannten Praktiken um nichts anderes als das, was die antiken Philosophen als Tugenden bezeichneten. Man könnte die o.g. sechs Punkte auch folgendermassen umschreiben (und hier wähle ich teilweise Brandens eigene Worte):

1) Sein Leben unter die Herrschaft der Vernunft stellen -> Klugheit, Weisheit
2) Sich selbst ein Freund sein -> Milde, Mäßigung (anstatt Selbstüberforderung)
3) Niemanden ausnutzen und sich selbst nicht ausnutzen lassen -> Stolz, Unabhängigkeit
4) Tapferkeit, Aufrichtigkeit, Wahrheitsliebe, nicht schleimen, sich nicht verkaufen
5) Proaktives Handeln, Selbstdisziplin
6) Tugenden und Werte entwickeln und auch danach leben--> Fair Play, Gerechtigkeit

Am besten an Branden gefällt mir, dass er immer wieder unser Handeln in den Mittelpunkt stellt, nicht das theoretische Erörtern von Tugenden oder Werten. Letztere entstehen bei ihm ausschließlich durch unser Tun.

Nathaniel Branden ist kein Stoiker. Er war lange Zeit mit der Schriftstellerin und Philosophin Ayn Rand befreundet bevor er sich mit ihr überworfen hatte. Deren Philosophie, der Objektivismus prägt Brandens Denkweise immer noch. So sind die von ihm gewählten Beispiele oft deutlich prokapitalistisch, und naturgegebene Pflichten. jenseits von "Verträgen" scheint es für ihn nicht zu geben.
Auch seine Aussage "Mein Leben gehört mir!" könnte ich nicht vorbehaltlos unterschreiben. (siehe auch hier)

Nichtsdestotrotz ist das Buch ein wertvoller und empfehlenswerter Ratgeber für die eigene Lebensgestaltung.


Freitag, 11. Oktober 2013

Generation Komasaufen oder "Dein Leben gehört nicht Dir!"



... etwa freier nach Brad Warner.

Wenn wir eines Tages von unserer Mündigkeit, Selbständigkeit und Unabhängigkeit überzeugt sind, kann es passieren, dass wir glauben, dass es niemanden etwas angehe was wir mit unserem Leben tun.

Es geht keinen etwas an, ob ich mich betrinke, bekiffe oder sonstwie zudröhne. Es geht niemanden etwas an, ob ich rauche, zuviel Fett fresse oder der einzige Sport den ich betreibe in dem Fußweg zwischen Kühlschrank und Couch besteht.

Es kann mir auch keiner vorschreiben, wie ich mich kleide, wie oft ich dusche oder ob ich die Grundsätze der allgemeinen Höflichkeit beachte.

Schließlich gehört mein Leben mir, oder?

Nicht dem Vater der mich gezeugt, nicht der Mutter die mich geboren und gestillt hat. Nicht meinen Eltern und Erziehern die mir Sprechen, Lesen, Schreiben, Rechnen, Schwimmen, Radfahren und den Unterschied zwischen Gut und Böse beigebracht haben. Nicht dem Bäcker der mein Brot bäckt, dem Bauern der meine Milch produziert, nicht dem Busfahrer der mich zur Arbeit fährt oder dem Unternehmer, der mich bezahlt. Schon garnicht gehört es meiner Ehefrau oder meinen Kindern. Nein, ich bin eine Insel, unabhängig und frei.

Schön wäre es (vielleicht)!

Du besäufst Dich und verkotzt die Wohnung Deines Kumpels, bevor Dich der Rettungsdienst in die Klinik fährt, wo sich die Krankenschwester um Dich kümmert und dadurch weniger Zeit hat für die wirklich Kranken.
 Du bekiffst Dich und fährst dann das Kind Deiner Nachbarin tot, die daraufhin ihres Lebens nicht mehr froh wird.
 Du rauchst und überfrisst Dich und gehst dann zu Deinem Arzt um Dir teure Medikamente verschreiben zu lassen, die deine Krankenkasse und damit die Allgemeinheit zahlt..
 Dein Körpergeruch belästigt Deine Umgebung, Deine verdreckten Klamotten sind eklig und Deine unwirsche Art versaut der jungen Auszubildenden im Lokal den ersten Arbeitstag.

Die Stoiker sind davon überzeugt, dass alles im Kosmos miteinander verbunden ist. Ähnlich sehen es die Buddhisten. Unser gesamtes Handeln hat Auswirkungen auf die Menschen um uns herum und letztlich auf das gesamte Universum, selbst wenn letzteres nicht so unmittelbar zu erkennen ist.
Von daher glauben die Stoiker, dass das einzig Gute im tugendhaften Handeln liegt. Wir können zwar die Welt nicht retten, aber jeder von uns kann sie ein Stück weit verbessern, wenn er die Dinge, die seiner Kontrolle unterliegen, gut macht.
Wenn Dich an einem Mitmenschen etwas abstößt, maßregele ihn nicht, sondern trachte danach sein Gegenteil zu verkörpern!

Montag, 7. Oktober 2013

Die totale Kontrolle

Man muss in sein ganzes Leben wie in jede Einzelhandlung Ordnung bringen; ist jede Handlung nach besten Kräften getan, so muss man sich dabei genügen lassen; dass Du aber Deine besten Kräfte einsetztest, daran kann Dich niemand hindern.
Marc Aurel-Selbstbetrachtungen, 8. Buch, Vers 32

Immer wieder, in unzähligen Situationen im Alltag komme ich darauf zurück, dass einzig und allein mein eigenes Tun meiner Kontrolle unterliegt. Ich kann nicht das Verhalten meiner Mitmenschen kontrollieren, aber meine Reaktion. Nicht das Arbeitsaufkommen im Berufsalltag, aber meine Organisation und Prioritäten. Nicht die Meinung meiner Umgebung über mich, wohl aber die Integrität meines Tuns. In dieser Konzentration auf das was ich kontrollieren kann, liegt eine ungeahnte Machtfülle.

Freitag, 4. Oktober 2013

Der Stoiker und der Gentleman

Tugenden sind in und das ist gut so. Während zum einen das Christentum an Deutungs- und Bindungskraft verliert, versuchen die Menschen in der westlichen Hemissphäre das entstehende Werte-Vakuum neu zu füllen.
Ein dahingehender Versuch der mir dabei immer wieder begegnet und mit dem ich mich selbst teilweise identifizieren kann ist das Ideal des Gentleman.
In der Astronomie gibt es den Trick an einem Himmelsobjekt knapp vorbei zu schauen um es deutlicher zu erkennen. Das hängt wohl mit der Lage gewisser Rezeptoren im Auge zusammen.
Auf ähnliche Weise kann man auch den Gentleman betrachten um den Stoiker besser zu verstehen, haben sie doch vieles gemeinsam.
Der Gentleman ist unabhängig, und doch achtet er genau auf seinen Umgang mit Anderen. Er trachtet danach, das Gegenteil dessen zu verkörpern, was ihn an anderen abstößt. Wichtiger als die Herrschaft über andere ist ihm die Herrschaft über sich selbst. Er pflegt seine Tugenden nicht um andere zu beeindrucken, sondern um sich selbst gegenüber treten zu können. Das ist die Quelle seines Selbstwertgefühls.
Er ist höflich, mutig, klug, maßvoll und Fair Play geht ihm über alles. Hier finden wir sie wieder die 4 Tugenden der alten Griechen:
Weisheit, Gerechtigkeit, Mäßigung und Tapferkeit.
Betrachten wir Mark Aurel, so finden wir in seinen Selbstbetrachtungen viele Passagen, die sich dem Umgang mit seinen Mitmenschen widmen. Dadurch eignet sich dieses Büchlein auch als Handbuch für den Gentleman.

Allerdings ist der Gentleman ein Ideal, das mit positiven Eigenschaften geradezu überfrachtet ist. Dadurch wird er unscharf und stellenweise auch widersprüchlich. So unabhängig wie er sein soll, so abhängig ist er doch von dem Bilde das Andere von ihm haben. Da er sich selbst nie als Gentleman bezeichnen würde (aber trotzdem einer sein möchte) wird sein Ziel möglicherweise sein, dass Andere ihn als solchen bezeichnen. Hier verliert er allerdings schnell den Boden unter den Füßen und macht sich erpressbar ("Wie? Du tust XY nicht? Ich dachte Du wärst ein Gentleman?)
Ein klarer Unterschied zum Ideal des stoischen Weisen ist das Verhältnis zu Frauen. Hier wird vom Gentleman eine romantisierte ritterliche Galanterie erwartet. Auch hier muss er acht geben, nicht einem weit verbreiteten Bild entsprechen zu wollen, das so vielschichtig ist, dass es kaum zu erfüllen ist. Das bedeutet nicht, dass er seiner Herzensdame keine Gefühle zeigen darf, oder Frauen schwere Gegenstände alleine schleppen lässt. Aber er achtet immer darauf, dass sein Tun dem Augenblick angemessen ist, und er tut es um der Belohnung willen die in der Handlung selbst liegt, und nicht aus (sexuellem) Kalkül.
Leider wird in der Werbung und im Internet noch ein Aspekt des Genteman-Ideals verbreitet, das nur einem Zweck dient: Verkaufen.
Hier wird der Gentleman als ein Mann dargestellt, der sich immer in den teuersten Zwirn der am meisten etablierten Maßschneider kleidet, der sich mit erlesenen Uhren, Autos, Häusern, Wein, Whiskeys, Zigarren etc. umgibt und der aufgrund dieser Tatsachen permanent von schönen Frauen umringt ist. Dazu noch ein bisschen seichtes Self-Development für den beruflichen und privaten Erfolg und fertig ist der Gentleman.
Hinter diesem Bild steht natürlich die allmächtige Werbeindustrie.
Leider ist dieses Schönwetter-Ideal auch nicht tragfähig für Krisenzeiten, denn dieser Gentleman braucht vor allem zwei Dinge: Geld und Publikum, also Dinge die man ihm jederzeit nehmen kann.
Der stoische Weise dagegen ist zwar kein Asket und Kostverächter (siehe Seneca). Allerdings ist er durch seine innere Unabhängigkeit in der Lage auch ohne den schönen äußerlichen Schein gut und glücklich zu leben.

Mittwoch, 25. September 2013

Wie wird man zum Stoiker?


Einmal angenommen wir versprechen uns von so etwas Angestaubtem wie der stoischen Philosophie und von so altertümlichen Charakteren wie Seneca und Marc Aurel tatsächlich Lebenshilfe und so etwas wie einen Weg zum Glück, so bleibt die Frage: Wie wird man denn nun zum praktizierenden Stoiker?

Der amerikanische Philosphieprofessor William B. Irvine beschreibt in seinem genialen Buch "A Guide to the Good Life" sehr strukturiert den Weg dorthin. Aus den Schriften der Stoiker extrahiert er zunächst eine Handvoll "Mentaltechniken", um dann weitere Anwendungen in verschiedenen Lebenssituationen zu beschreiben. Bei letzterem kommt er immer wieder auf eine Variation der vorgestellten Mentaltechniken zurück.

Diese sind:

1) Negative Visualisierung

"Denke nach, es könnte schlimmer kommen!" "Und ich dachte nach und es KAM schlimmer!" lautete ein bekannter Witz aus meiner Jugend. Der erste Teil jedoch beschreibt haargenau, was Irvine mit negativer Visualisierung meint. In jeder Lebenssituation ist es mir möglich meine Freude am Augenblick schlagartig zu erhöhen, wenn ich mir klarmache wie fragil unser Dasein ist. Vorstellungen wie "mein Kind könnte morgen tot sein!" oder "ich könnte genausogut im  Rollstuhl sitzen!" führen bei dosierter Anwendung (und der richtigen Schlußfolgerung daraus) nicht etwa zu Depressionen und sorgenvollem Grübeln, sondern zu erhöhter Wertschätzung dessen was man hat. Wie oft gehen uns unsere Kinder auf die Nerven wenn wir ehrlich sind?
Machen wir uns aber klar, dass eine Zeit kommen wird, in der wir jeden dieser nervigen Augenblicke liebend gerne nocheinmal erleben würden (und sei es auch nur weil sie erwachsen geworden sind!) steigt die Freude an unseren Kleinen sofort.
Auf diese Weise habe ich schon oft scheinbar langweilige Augenblicke, öde Tätigkeiten und stumpfsinniges Herumgesitze in Augenblicke der Lebensfreude verwandelt.

2) Die Trichotomie der Kontrolle

Meiner Meinung nach das Herzstück der Stoa. Epiktet teilt die Dinge dieser Welt auf in jene über die wir Kontrolle besitzen und jene, über die wir keine besitzen. Diese Zweiteilung wird bei Irvine zu einer sinnvolleren Dreiteilung, indem er sagt:

a) Es gibt Dinge über die besitzen wir keine Kontrolle, wie beispielsweise das Wetter, andere Menschen, Tod und Krankheit etc.
b) Es gibt Dinge über die besitzen wir die volle Kontrolle, nämlich unsere Ansichten und Handlungen (und das waren sie im Übrigen auch schon ;-)).

und

c) Es gibt Dinge über die besitzen wir nicht die volle Kontrolle, aber einen gewissen Einfluss. Als Beispiel nennt er ein Tennisspiel. Ich habe keine Kontrolle darüber ob ich dieses Spiel gewinne oder nicht, aber ich kann durch die entsprechende Vorbereitung meine Gewinnchancen erhöhen.
Da die Stoiker sich natürlich nicht von äußerlichen Dingen wie Sieg oder Niederlage abhängig machten empfiehlt Irvine hier die Internalisierung von Zielen. In dem gewählten Beispiel des Tennisspieles ist daher nicht der Sieg das Ziel, sondern einfach das beste Tennis zu spielen, das mir in diesem Moment möglich ist.

Laut den Stoikern rührt das meiste Leid der Menschen aus dem Hadern mit und der Sorge um Dinge die außerhalb unserer Kontrolle liegen. Und das sind ganz schön viele!

3) Fatalismus bezüglich Vergangenheit und unmittelbarer Gegenwart

Uhhhh...da ist es, das böse Wort. Ja, die Stoiker waren Fatalisten.Und nein, sie haben deswegen NICHT die Hände in den Schoß gelegt und alles dem Schicksal anheim gestellt. Ein Widerspruch? Nein, meint Irvine. Denn der Fatalismus der Stoiker bezog sich nur auf die Vergangenheit und die unmittelbar stattfindende Gegenwart. Genau genommen ist dies eine Anwendung der Trichotomy der Kontrolle (siehe oben). Denn sowohl die Vergangenheit als auch die jetztige Gegenwart sind Dinge die außerhalb jeglicher Kontrolle liegen. Allerdings beginnt meine, zumindest teilweise, Kontrolle bereits 1/2 Sekunde in der Zukunft.
Darum waren einige Stoiker (im Gegensatz zu dem Kyniker Diogenes) aktiv am Staatswesen und damit an der Zukunftsgestaltung beteiligt.

4) Selbstverleugnung, "the dark side of pleasure"

Noch ein böses Wort, "Selbstverleugnung" brrrrrr. In einem christlichen Kontext verursacht das Wort mir seltsamerweise Bauchweh und ich denke an salbungsvolle aufopfernde Nonnen und sich selbst zerstörende Verhaltensweisen. Bei den Stoikern jedoch schwingt etwas anderes mit, was man am ehesten als Training oder Vorbereitung bezeichnen könnte. Dinge wie zeitweise freiwillige Armut, Fasten, Schmerz ertragen und Selbstüberwindung im Sport haben weniger den Charakter eines himmlischen Tauschgeschäftes sondern sind ein Test für den eigenen Fortschritt im Stoizismus. Auf gar keinen Fall dürfen sie öffentlich gemacht werden um die eigene Überlegenheit unter Beweis zu stellen.
In seinem Handbuch sagt Epiktet an einer Stelle :"Wenn Du Durst leidest, nimm einen Schluck Wasser in den Mund, spucke ihn wieder aus und sage keinem was davon!"

5) Meditation im Sinne von Nachdenken und Selbstreflexion

Meditation im westlichen Kontext ist etwas anderes als die östliche Versenkung mit dem Ziel alle Gedanken vorbeiziehen zu lassen. Meditation bedeutet in diesem Zusammenhang: Über etwas nachdenken, reflektieren, von verschiedenen Seiten beleuchten. Und worüber dachten die Stoiker nach? Über ihren eigenen Fortschritt auf dem Weg zum stoischen Weisen. Bei Seneca gibt es eine regelrechte abendliche Gewissensprüfung anhand eines Fragenkataloges, während Mark Aurel ein Tagebuch mit Selbstermahnungen führte. Diese sind uns bis heute als seine "Selbstbetrachtungen" erhalten.

Wer auf Selbsterfahrung steht, und diese Techniken mal ausprobieren möchte, dem empfiehlt Irvine auf keinen Fall jetzt mit allen fünfen durchstarten zu wollen. Zunächst solle man es mal mit der negativen Visualisierung versuchen, und danach mit der Trichotomy der Kontrolle. Besonders in letzterem, konsequent zu Ende gedacht, liegt das Potential für einen Quantensprung im Denken. Versucht mal einen Arbeitstag lang, Euch nur um die Dinge Sorgen zu machen, die wirklich in Eurer unmittelbaren Kontrolle liegen, nämlich EUER Denken und EUER Handeln.

Das war natürlich nur ein oberflächlicher kurzer Abriss. Irvine ist in seiner Argumentation weitaus eloquenter, daher empfehle ich sein Buch wärmstens!

Hier gibt es übrigens noch einen Abriss des Buches aus einem anderen Blickwinkel!

Freitag, 20. September 2013

Zen und Stoa



Welches sind denn nun die angeblichen Parallelen zwischen Zen-Buddhismus, einer fernöstlichen Religion und der Stoa, einer verstandesbasierten griechisch-römischen Philosophie?
Folgendes gliedert sich in drei Abschnitte. Der erste Abschnitt zählt Positionen auf, in denen beide Weltanschauungen m.E. nach nahezu deckungsgleich sind. In Abschnitt zwei finden sich Positionen die einander sehr ähnlich sind, während Abschnitt drei deutliche Unterschiede aufzeigt.


1)     Deckungsgleiche Positionen

-         Erkenntnis und Akzeptanz der Vergänglichkeit aller Dinge
-         Relativierung von vermeintlichen Werten wie Erfolg, Macht, Reichtum und Gesundheit.
-         Es ist wichtiger sich selbst und seine Anschauungen zu ändern als die Welt.
-         Die Mässigung in Konsum und Lebensstil ohne übertriebene Askese.
-         Die Verbundenheit aller Dinge (Logos ß-> Indras Netz)
-         Der momentane Augenblick als wichtigster Punkt in der Zeit.
-         Wertschätzung harter körperlicher Arbeit (Musonius Rufus)


2)     Parallelen

Stoa
Zen(-Buddhismus)
Glück entsteht durch das Aufgeben der Begierden und naturgemäßes Leben.
Leidfreiheit entsteht durch das Aufgeben der Begierden.
Gott eher unpersönlich als Prinzip, das den Kosmos durchdringt
Gott mehr oder weniger gleichgültig
4 Tugenden
10 „Gebote“, „Übungen“, „Verpflichtungen“ für ein tugendhaftes Leben
Beobachtung und Wertschätzung der Natur zu Lernzwecken und zur Transzendierung allzu irdischer Gedanken.
Besondere Naturverbundenheit, ausgedrückt in verschiedenen, vom Zen inspirierten Künsten.
Was der Gemeinschaft gut tut ist auch gut für jeden Einzelnen
Die Gemeinschaft ist wichtiger als der Einzelne (wohl das jap. Erbe des Zen ;-))

3)     Unterschiede

Stoa
Zen-(Buddhismus)
Hauptinstrument ist die Vernunft unter Ablehnung des Irrationalen
Hauptinstrument ist „Zazen“ unter Ablehnung des Rationalen
Meditation im Sinne von Nachdenken und Selbstreflexion
Meditation  im Sinne von Versenkung und dem Vorbeiziehen lassen aller Gedanken
Kein Einräumen irgendwelcher Rechte für Tiere wegen derer vermeintlichen Vernunftlosigkeit
Mitleid für und Rücksichtnahme auf ALLE fühlenden Wesen.
Kein Rückzug aus der Welt in abgesonderten Gemeinschaften
Mönchtum zumindest teilweise erforderlich für die Ausbildung
Tätigkeiten sollen immer sinnvoll sein
Ideal der allerhöchsten Unnützlichkeit
Gemütsruhe als Ziel
Satori als Ziel


Mittwoch, 11. September 2013

Der Codex der Stoiker

Diese nette Zusammenfassung stoischer Prinzipien habe ich im englischsprachigen Netz gefunden. Entschuldigt die etwas holprige Übersetzung. Das Original findet Ihr hier:

The Stoic Code


o. (sic!) Entscheide zunächst wer Du sein willst. Dann was zu tun ist.

1. Lebe vornehm!

2. Kontrolliere Dich selbst und damit Dein Schicksal!

3. Lass Dich nicht durch äußere Dinge anfechten!

4. Erwarte nichts; lass Dich durch nichts überraschen!

5. Sei zufrieden damit, in diesem einen Moment naturgemäß zu leben.

6. Finde Deine Kraft in ständigem Streben nach der Wahrheit, und erlaube weder verräterischen Gedanken, noch irgendetwas anderem, Dich davon abzuhalten.

7. Tugend ist nichts anderes als die rechte Vernunft. Verfolge sie bis zum Abwinken!

8. Arbeite an dem was direkt vor Dir liegt, folge der rechten Vernunft, ernsthaft, kraftvoll und ruhig und lass Dich durch nichts ablenken!

9. Für einen Verstand bestehend aus wirksamen Fertigkeiten und Durchhaltevermögen ist nichts unmöglich.

10. Alles Böse wird geboren aus Verblendung, alle Verkommenheit aus Trugschlüssen, alle Probleme aus Unwissenheit.

11. Glaube niemals dass ausgerechnet DU die Wahrheit kennst, denn das ist die Königin der Wahnvorstellungen.

12. Veränderung liegt aller Realität zugrunde. Alle scheinbare Stabilität wird uns nur durch unsere begrenzte Perspektive vorgegaukelt.

13. Sichere Dir Deine Freiheit, aber nicht durch die Erfüllung aller Deiner Wünsche, sondern durch das Ausreißen aller Begierden.

14. Nichts was nicht zu Dir gehört darf an Dir haften, lass Dich durch nichts übermannen, was Dir bei seiner Entfernung Schmerzen bereiten würde.

15. Überlass die Materie der Natur, sie ist ihr eigen und sie tut damit, was ihr gefällt. Sei fröhlich und mutig angesichts aller Dinge, erinnere Dich, dass nichts von dem, was wirklich Dein eigen ist, umkommen kann.

16. Handle nicht als Bürger einer Nation, oder als Mitglied irgendeiner Gruppierung oder eines Clübchens, denn Du bist ein Bürger des Universums.

17. Nur weil Deine eigene  Kraft einer Aufgabe nicht gewachsen ist, heißt das nicht dass sie jenseits der Macht der Menschen liegt, WENN aber etwas innerhalb der Macht und des Zugriffs von Menschen liegt, so gehört es auch in Deinen Einflussbereich!

18. Erlaube den Wahrheitssuchenden nicht, sich selbst zu verblenden. Versuche aber nicht diejenigen zu erleuchten, die verblendet bleiben wollen, denn sie werden daran festhalten, was auch immer du ihnen aufzuzeigen versuchst

19. Dein Wort und Dein Urteil sind die einzigen Dinge in dieser Welt die unzerstörbar sind.


20. Dein Wille und die Kraft die ihn führt sind die einzigen Dinge in dieser Welt die unerschöpflich sind.

Freitag, 6. September 2013

Die Stoa und der Suizid




Nein, das wird keine gelehrte Abhandlung über die theoretische Sichtweise der Stoiker bezüglich Selbstmord.
Pünktlich zum Start dieses Blogs ereignete sich der "Ernstfall", ein Lebensereignis, an dem sich eine einmal gewählte Philosphie bewähren muss.

Ein guter Freund von mir, nennen wir ihn Michael, hat sich selbst getötet.

Wie immer bei einem solchen Ereignis stellen wir Hinterbliebenen uns die Frage: Hätten wir es verhindern können? Waren wir nicht aufmerksam genug? Was hat er gedacht? Gefühlt? Hatte er Qualen? und...und...und...
Natürlich glauben wir jetzt im Nachhinein, dass wir Anzeichen für eine Depression hätten erkennen müssen. Jede erinnerte Äußerung wird jetzt auf die Goldwaage gelegt, jede Charaktereigenschaft, jede Eigenart und jede Macke neu interpretiert.

In der Stoa geht es immer wieder um die Frage, was kann ich kontrollieren, und was nicht?

- Ich kann nicht kontrollieren, was ich in der Vergangenheit an Zeichen, Äußerungen und Beobachtungen übersehen und fehlgedeutet habe.

- Ich kann das Verhalten, die Gedanken, die Folgerungen und die mögliche Erkrankung eines Anderen, und sei es auch mein engster Freund oder Bruder, nicht kontrollieren.

- Und letzten Endes: Ich kann nicht kontrollieren, auf welche Art und Weise der Kosmos das Geschaffene zurückfordert..

...liegt es aber nicht in Deiner Macht, was schert es Dich dann?- Epiktet


Was ich kontrollieren kann ist:

- Meine eigene Interpretation des Geschehenen.

- Welches Resümee ich aus möglichen eigenen Fehlern ziehe und wie ich in der Zukunft mit ähnlichen Anzeichen bei Freunden und Bekannten umgehe.

- Wie ich das Geschehene verarbeite, betrauere und durchlebe.

- Und: Wie ich in Zukunft mit mir selbst und meinem Leben schonender und weniger fordernd umgehen kann.

In Hundert Jahren sind wir alle tot und kein Hahn kräht mehr nach uns.
Danke Michael, dass ich Teil Deines Lebens sein durfte.

Dienstag, 3. September 2013

Was die Anderen denken



Freunde gewinnen! Netzwerke pflegen! Impression Management!

Wer zu diesen Themen googelt wird eine Vielzahl an Buch- und Seminarangeboten finden. Das Thema ist im Grunde immer das Gleiche. Wie wirke ich sympathisch? Wie mache ich auf mich aufmerksam? Wie wirke ich selbstsicher und kompetent? Wie gewinne ich Ausstrahlung? Wie schinde ich möglichst viel Eindruck?
Der Anwendungsbereich kann dabei sowohl der berufliche Alltag, die Karriere, die Partnersuche oder das private Umfeld sein.

Nun ist daran aus stoischer Sicht zunächst mal nichts auszusetzen. Die Stoa sieht den Menschen als soziales Wesen an, der die Gemeinschaft Anderer braucht um naturgemäß und damit glücklich zu leben. Seneca rät ausdrücklich zur Pflege von Freundschaften, und Musonius ist ein großer Befürworter von Ehe und Familie.
Allerdings liegen Sinn und Zweck von Beidem bereits in sich selbst.

Beginne ich jedoch damit Freundschaften, Bekanntschaften, "Netzwerke" aus Kalkül zu suchen, um beispielsweise meine Karriere voran zu treiben, oder aber auch um meinen sexuellen Appetit zu stillen, gerate ich in die Situation, dass ich einer in sich sinnvollen, schönen und wertvollen Sache einen "Zweck" aufpropfe, der die ganze Angelegenheit pervertiert.

Ich komme dabei recht schnell in die Situation, Anderen so sehr gefallen zu wollen, dass ich, um nicht anzuecken, meine eigenen Werte und Vorstellungen hinten an stelle. So rede ich vielleicht meinem Chef nach dem Mund, obwohl ich anderer Meinung bin als er, weil ich auf die ausstehende Beförderung schiele. Oder die heiße Braut am Tresen lästert über irgendwelche Personen im Raum und ich mache fleißig mit, weil ich ihr halt schlicht an die Wäsche will, und glaube sie könnte mich sonst für langweilig halten.

Der Witz an der Sache ist der, dass ich möglicherweise in beiden Situationen besser dastehen würde, wenn ich mich zu meinen Werten und Ansichten offen bekannt hätte. Nicht nur dass die meisten Chefs keine servilen Ja-Sager mögen, auch Frauen testen Männer oft auf deren Selbstbewusstsein und Standfestigkeit, in dem sie bewusst eine Meinungsverschiedenheit provozieren.
Eine Kollegin von mir, eine junge, attraktive Frau die beim Ausgehen recht oft angesprochen wird, macht in der Disco beispielsweise gerne die Musik madig, sofern diese ihrem Verehrer zu gefallen scheint. Kippt dieser in seiner Meinung um und findet die Musik nun plötzlich auch nicht mehr so toll, ist er bereits ausgesiebt.

Wisse: sobald Du Dich mit der Außenwelt einlässt und einem da draußen zu gefallen wünschst, so hast du den Boden unter den Füßen verloren. 
(Epiktet-Handbüchlein der Moral, 23)

Trotz ihrer Wertschätzung für Familie und Freundschaft betrachten die Stoiker (ganz im Gegensatz zu moderner Ratgeber-Literatur) unseren Ruf, unser Ansehen als etwas, was völlig außerhalb unserer Kontrolle liegt. Was Andere über uns denken liegt ganz alleine in deren Machtbereich! Glaube ich aber die Kontrolle über etwas zu besitzen, das aber in Wahrheit völlig unabhängig von meinen Bemühungen ist, werde ich über kurz oder lang scheitern und verzweifeln.

Hältst du für frei, was seiner Natur nach unfrei ist, und für dein eigen was fremd ist, so wirst du viele Schwierigkeiten haben, Aufregung und Trauer, und wirst mit Gott und allen Menschen hadern. (Epiktet-Handbüchlein der Moral, 1)  

Ich weiß nicht wie es dem Leser geht, für mich war das erstmal schwere Kost. Ich muss doch irgendwie die Möglichkeit haben, zu steuern wie andere mich wahrnehmen! Und wenn ich mich entsprechend verhalte, erkennt mein Umfeld auch was ich für ein netter Kerl bin, oder?
Allerdings gab es im beruflichen Alltag mehrere Schlüsselerlebnisse, die alle nach dem gleichen Schema abliefen, und auf eben diese Machtlosigkeit bezüglich der Meinung Anderer hinzudeuten schienen.
Ein Beispiel:
 Ich fällte eine Entscheidung nach bestem Wissen und Gewissen, in der Meinung Kollege X damit einen Gefallen zu tun (was objektiv auch so war!) und erfuhr nach einigen Wochen hintenrum, dass dieser Kollege herum erzählte wie arrogant ich sei, dass ich ihn hätte vorführen wollen etc. 
Oder aber ich bekomme mit wie Gespräche bei denen ich als Zuhörer anwesend war, und die meiner Ansicht nach sachlich und konstruktiv verlaufen sind, von Kollegen plötzlich so dargestellt werden, dass einer der Beteiligten in wesentlich schlechterem Licht dasteht als er verdient hätte.
Oder ich weise einen Kollegen, um ihn zu schützen, diskret auf ein Fehlverhalten seinerseits hin, was ihm u.U. eine Abmahnung einbringen könnte, und bekomme zu hören, dass ihm das scheißegal sei, und ich wohl glaube, dass ich ihm irgendetwas zu sagen hätte.
Wenn Menschen beschlossen haben, dass wir ihnen unsympathisch sind, gibt es nichts(!) was wir dagegen unternehmen können. Dieser Gedanke sollte uns aber nicht deprimieren, sondern vielmehr sollten wir die Freiheit erkennen die darin liegt. Nämlich die Freiheit unter allen Umständen das zu tun, was wir selbst für das Wahre, Gute und Schöne halten.