Immer wieder begegnet mir die Behauptung, dass ein Leben nach der stoischen Philosophie zu keinerlei Konflikten mit einer wie auch immer gearteten religiösen Überzeugung führt. Begründet wird das damit, dass die religiösen Vorstellungen der Stoiker selbst stark variierten. Vom Glauben an einen intelligenten, alles regelnden Gott bis hin zum reinen Tanz der Atome sind alle Überzeugungen vertreten. Die Stoa selbst verstand sich nicht als Religion. Von daher fehlen natürlich Dogmen, Rituale, unfehlbare Meister oder Priester, Gebete, Feste und was sonst noch alles dazugehört. Von daher könne man ruhig seine Religion ausüben und trotzdem nach stoischen Grundüberzeugungen leben und handeln.
Ich sehe das anders. Zum einen weil JEDE Art von Überzeugung die unser Dasein und unser Menschenbild betrifft zwangsläufig die Religion berührt. Zum andern weil es in nahezu jeder Religion, die nicht irgendwie verwässert oder modernisiert daher kommt, Vorstellungen und Handlungsanweisungen gibt, die mit der Stoa in Konflikt geraten.
Ich möchte das am Beispiel des Christentums erläutern:
- Das Christentum glaubt an einen persönlichen Gott, der auf unsere Gebete antwortet und reagiert. Daraus resultiert oft die Vorstellung, durch Gebete bespielsweise auf Krankheit, Tod, Unfälle etc. positiv einwirken zu können. Das gerät aber in Konflikt mit der Aufteilung der Dinge in kontrollierbare und nicht kontrollierbare.
- Das Christentum glaubt an die sogenannte Erbsünde. Im protestantischen Spektrum wird daher stark betont, dass der Mensch sich nicht aus eigener Kraft zum Guten hin entwickeln könne und ganz auf die Gnade Gottes angewiesen ist. Die Stoiker dagegen glauben, dass jeder Mensch die Fähigkeit hat Tugenden zu entwickeln und sich stetig zu verbessern.
- Vor dem Hintergrund, dass ich das Verhalten anderer Menschen nicht kontrollieren kann, und mich ihr Tun und Lassen daher nicht weiters anfechten solle verbietet sich aus Sicht der Stoa jegliche Art von Bevormundung, Predigt, Missionierung etc. Vor allem letzteres gebietet das Christentum aber ausdrücklich.
- Die Vorstellung eines Gottes der belohnt und bestraft führt unter Umständen zu der Überzeugung, dass ich durch mein Verhalten auf mein Schicksal einwirken kann. Beispielsweise könnte Gott gutes Verhalten mit einem besonderen Schutz belohnen, oder aber Krankheit, Unfall, Tod schicken um zu strafen. Auch das führt zu einer falschen Kontrollüberzeugung.
- Das Christentum sieht das Leben als Geschenk Gottes und lehnt daher jede Art von Euthanasie oder Suizid ab. Die Stoa erlaubt beides unter bestimmten Umständen
Bis auf das Konzept der Erbsünde betreffen die genannten Beispiel auch die beiden anderen abrahamitischen Religionen. Und Islam und Christentum sind nun mal am weitesten verbreitet.
Sicher, man könnte einwenden, die o.g. Beispiel entsprängen einer archaischen Art des Christentums, und hätten mit dem "modernen" Glauben nichts mehr zu tun. Dazu zwei Dinge:
- die Beispiele entsprechen genau dem Christentum wie ich es erlebt habe und erlebe, und wie es in konservativen und evangelikalen Kreisen gelebt und gelehrt wird.
- wer nicht mehr an einen persönlichen Gott glaubt, an die Wirksamkeit von Gebeten, an die Notwendigkeit der Gnade durch Jesus Christus, an Lohn und Strafe...welchen Grund hat derjenige dann noch sich Christ zu nennen?
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