Eine bittere Gurke? Wirf sie weg! Dornensträucher im Weg? Weich ihnen aus! Das ist alles! Frage nicht noch: Wozu gibt es solche Dinge in der Welt?
Mark Aurel, Selbstbetrachtungen Buch VIII, Kapitel 50
Meine Tochter stellt mir viele Fragen über die Welt und ich beantworte sie so ehrlich und kindgerecht wie möglich. Allerdings ist sie gerade in der "Warum"-Phase, und ich stellte irgendwann fest, dass Warum-Fragen oft keine sinnvolle Antworten ergeben. So ist beispielsweise die Anatomie des Menschen einfach so wie sie ist. Wissenschaftlich gesehen versucht man Anatomie zu verstehen und zu beschreiben, allerdings gibt es keine sinnvolle Antwort auf die kindliche Frage, warum der Mensch denn nur eine Nase, oder nur zwei und nicht drei Hände hat (und weiß Gott, die dritte Hand könnte man manchmal wirklich brauchen!).
Ähnlich ist es mit Fragen wie "Warum musste dieser oder jener sterben?" oder "Warum gibt es Krieg, Hass, Gewalt?" Bei vielen dieser Fragen kann man sich an Kausalketten entlang hangeln. "Nun, er hatte Krebs, der wurde zu spät erkannt, weil er nie zum Arzt ging, Krebs ensteht durch eine fehlerhafte Programmierung im Erbgut, diese hat sich wohl im Lauf der Evolution eingeschlichen und medizinisch sind wir noch nicht soweit ihn wirkungsvoll zu bekämpfen!" Das ist die Warum-Frage auf der Sachebene abgehandelt. Eigentlich jedoch steckt hinter dieser Art von Fragen etwas anderes, nämlich der Wunsch nach der Sinnhaftigkeit des Daseins und der Ereignisse. Der Wunsch nach einem höheren Wesen, das die Welt weise und gerecht regiert. Der Wunsch nach einem Papa im Himmel, der schon weiß was er tut.
Zugegeben, auch die Stoiker glaubten teilweise an eine weise regierende Allvernunft. Die Versuch der Erklärungen nahmen bisweilen skurrile Formen an, wenn Chrysipp z.B. behauptete, die Götter würden Wanzen schicken, damit die Menschen nicht zu lange schlafen, und Mäuse damit sie sich an Ordnung gewöhnen und nicht alles herum liegen lassen!
Ich persönlich halte es eher mit Mark Aurels Tanz der Atome und der wohl dosierten Anwendung des Fragewortes "Warum". Der Grund ist, dass ich glaube dass die Frage nach einem höheren Sinn eines Verlustes den Opfern noch zusätzliche psychische Qualen bereitet, da dieser Sinn oft nicht zu finden ist. Oder fällt dem Leser ein Grund ein, warum eine höhere Allvernunft es zulassen sollte, dass ein Kind sexuell missbraucht und zu Tode gequält wird? Falls ja, wäre ich dankbar ihn mitgeteilt zu bekommen! Diese Einladung gilt auch für Dich, Gott!
Wenn wir allerdings akzeptieren, dass die Welt (zumindest für unsere Erkenntnisfähigkeit) ein blinder und chaotischer Ablauf von unzähligen Kausalketten ist, und uns nicht auch noch mit Fragen nach dem "Warum" quälen, können wir die bittere Gurke einfach wegwerfen und weiter gehen.
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