Freitag, 13. Dezember 2013

Stoa und die Religion, die Zweite

                                                        Darstellung Senecas im Chorgestühl des Ulmer Münsters; Quelle: Wikipedia

"Manche Dinge werden immer wieder neu entdeckt!" So oder so ähnlich lautete kürzlich ein Kommentar hier im Blog. Und das stimmt! Je mehr man sich mit Philosophie und Religion, oder auch "Lebenshilfe" befasst, desto klarer wird einem, dass es nur noch wenig Neues unter der Sonne geben kann. Alle Gedanken wurden so oder so ähnlich schon einmal formuliert.
Was mir merkwürdig erscheint, und worüber ich gestolpert bin, ist, dass die gleichen Verhaltensweisen unter den einen Grundannahmen krank machen, während sie unter anderen Prämissen Spaß machen und Leib und Seele zusammenhalten.
Hier hatte ich schon einmal etwas über den qualitativen Unterschied zwischen Selbstverleugnung aus religiöser Sicht und Selbstverleugnung aus sportlicher und den  Genuss steigernder Sicht anklingen lassen.
Interessanterweise scheinen Stoa und Christentum sich in der Antike gegenseitig beeinflusst zu haben, was soweit ging, dass es sogar einen (gefälschten) Briefwechsel zwischen Seneca und Paulus gibt.
Viele Ansichten im Katholizismus sind der Stoa zunächst mal ganz ähnlich. So zum Beispiel, dass es in der eigenen Verantwortung liegt die Kardinal-Tugenden Tapferkeit, Mäßigung, Gerechtigkeit und Weisheit zu entwickeln. Dass man sich in Gottes Wille ergeben soll, quasi das eigene Schicksal akzeptieren. Dass Askese wie Fasten, barfuß laufen, zu kalt angezogen zu sein, freiwillige Armut etc. den Geist und den Willen stärken für kommende Herausforderungen. Die Spannung zwischen aktivem tätig sein für das Gemeinwesen und dem kontemplativen Rückzug.

Was für mich persönlich allerdings der entscheidende Unterschied zwischen Stoa und Katholizismus ist, ist das drauf pfropfen eines persönlichen, liebenden Gottes, der sich um jeden einzelnen Menschen kümmert.
Ab diesem Moment kommt nämlich zur Selbstverantwortung und Willensfreiheit des Menschen noch eine ungute Komponente hinzu, die all diesen Übungen einen unheilsamen Aspekt hinzufügt.
WENN es diesen Gott gibt, den ich auch lieben soll, warum mutet er mir dann überhaupt dieses oder jenes Schicksal zu? Warum hat er mich dann so fehlerhaft gestaltet, dass ich die Tugenden nicht automatisch liebe? 
WENN es ihn gibt, ist er denn zufrieden mit meinen asketischen Übungen? Und tue ich sie dann nicht auch weil ich ein sündiger Mensch bin? Und sollte ich dann nicht mein ganzes Leben büßen wie Luther gesagt hat? Kommt dann zu dem Aspekt "Askese als Training" nicht doch der des körperfeindlichen Selbsthasses hinzu?
WENN es diesen Gott gibt, wie ihn die Bibel beschreibt, kann ich dann noch sagen: Ich habe keine Kontrolle über das Handeln meiner Mitmenschen? Ist das dann nicht eine Form des Kainschen: "Soll ich meines Bruders Hüter sein?" Muss ich mich dann nicht aus lauter Mitleid um alles und jeden kümmern, egal ob ich mich dabei aufreibe? Viele Beispiele dafür finden sich in den Lebensgeschichten der sogenannten Heiligen!

Ein weiterer, entscheidender Aspekt für mich ist, dass die Stoa ein durchweg positives Menschenbild vertritt. Der Mensch ist zur Erkenntnis des Guten fähig, hat die Freiheit sich für da Gute zu entscheiden, und ist gleichzeitig endlicher Mensch, der sich nicht um alles und jeden kümmern kann. Stößt ihm etwas Schlimmes zu, ist es nun mal Schicksal aber er hat alle Ressourcen in sich, um damit umzugehen.

Das Christentum behauptet von sich ebenfalls, ein positives Menschenbild zu vermitteln. Aber hier beruht es zum einen ganz auf der Gottesebenbildlichkeit, d.h. aus sich selbst heraus ist der Mensch erst mal Garnichts.
Zum anderen habe ich in Predigten und Fürbitten immer das Gefühl, dass das Christentum zunächst mal defizitorientiert ist. Da ist immer von den Gebrochenen, und den Beladenen und den Kranken und Schwachen, und den Arbeitslosen und…und… und… die Rede. Und kein Wort davon, dass diese vielleicht selbst Ressourcen haben sich aufzurichten, nein, das kann nur der liebe Gott! Es ist immer alles so verjammert, so dauerbetroffen. Der Gipfel des Ganzen bestand darin, dass eine Dame die sich selbst offensichtlich gerne als die Kummertante de Kirchengemeinde sah regelmäßig leicht enttäuscht schien, wenn ich ihr auf die Frage nach meinem Befinden die Antwort:"Gut, danke!" gab.
Darüber hinaus werden in Predigten immer wieder Dinge angesprochen und angemahnt, die nach der Trichotomie der Kontrolle nun WIRKLICH außerhalb unserer Möglichkeiten liegen, wie der Bürgerkrieg in Turkmenisch-Abchasien, die Menschenrechtsverletzungen in Rajputtistan, der Hunger in Kongolesien und überhaupt der gesamte Weltfrieden. Dadurch entsteht meines Erachtens eine psychische Spannung zwischen Können und Sollen, die nicht aufgelöst wird.

Nicht falsch verstehen! Es geht hier nicht um eine Ethik des Nichthelfens. Seneca hat ausdrücklich die Hilfe für die Mitmenschen befürwortet. Wenn wir uns im Sinne der Stoiker als eine große Familie sehen, geht das auch gar nicht anders. Allerdings Hilfe zur Selbsthilfe, mit Verstand und Augenmaß, und vor allem ohne sich in den Jammerstrudel über die schlechte Welt mit hineinziehen zu lassen.

Mir ist auch klar, dass  beispielsweise im sogenannten Gelassenheitsgebet eine christliche Komponente der Trichotomie der Kontrolle existiert. Dass auch immer wieder darauf hingewiesen wird beide Pole, Aktion UND Kontemplation, zu leben.

Ich kann für mich nur sagen: Mich hat die Installation eines himmlischen Vaters in meinem Kopf eher gehemmt und krank gemacht, denn da war plötzlich einer der irgendwie nie zufrieden zu sein schien mit meinen Fähigkeiten als endlicher Mensch.

Heute bin ich nur mir selbst und meinen Werten Rechenschaft schuldig, und mein Leben ist kein bisschen weniger erfüllt oder sinnvoll.


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