Freitag, 26. Dezember 2014

Gott und die Stoa

.(..)Gib mir Geduld und Gelassenheit(...)Gott, was Du mir schickst will ich annehmen, Erfolg und Mißerfolg, Freude und Mühsal
Nein, das ist kein Zitat aus Epiktets Schriften, könnte aber durchaus von ihm inspiriert sein. Epiktet hat so oft Gott erwähnt, dass auch die späteren Christen seine Schriften als hilfreich und lesenswert empfanden.

In meinem Sommerurlaub ist es passiert. Durch den Anblick von Meer und Wellen, endlosen Sanddünen, sternenklaren Nächten habe ich damit begonnen wieder zu beten.
Diese Entwicklung geschah nicht ganz ohne Vorankündigung. Schon in der Zeit davor fielen mir viele Parallelen zwischen Stoa und christlichem Glaube ins Auge. Insbesondere die Vorschläge für einen "stoischen Tagesplan" in englischsprachigen Blogs stießen meine Nase wieder auf das Thema Gebet. Ich will das am Thema "abendliche Rückschau" festmachen.

In einem atheistischen Stoizimsus ist der Mensch ganz auf sich selbst gestellt, auf sich selbst zurückgeworfen. Bei der abendlichen Rückschau auf den Tag, bei der ich mir meiner Verfehlungen bewußt werde, bleibt mir nichts anderes übrig, als zu erkennen, wie weit ich vom "stoischen Weisen" noch entfernt bin. Ich frage mich dann, ob meine Lebenszeit überhaupt reicht, auch nur ansatzweise "besser" zu werden.

An einem Abend im Sommer wandte ich mich während dieser Rückschau spontan an Gott, überließ ihm meine Fehler und Sorgen und bat ihn um Vergebung. Dadurch endete diese Rückschau mit einem Gefühl tiefen Friedens und einem blendenden Schlaf.

Gerad im professionellen Rahmen ist die Stoa eine hervorragende Methode, Ordnung im inneren Chaos zu schaffen. Auch zur rein menschlichen Selbstverbesserung empfinde ich sie als sehr hilfreich.

Aber dort, wo ich mit meinem Latein am Ende bin, wo mich Sorgen und Angst überwältigen, wo ich auch einfach mal sein möchte, ohne mich ständig an der Kandarre nehmen zu müssen, dort bin ich dankbar, mich an einen hörenden Gott wenden zu dürfen, der mich am Ende der Zeiten annehmen wird, ob ich nun ein stoischer Weiser bin oder nicht.

Donnerstag, 18. Dezember 2014

Metta bhavana auf stoisch oder...

betet für die, die Euch hassen!

Je tiefer man in  Philosophie und Religion eindringt, desto mehr erkennt man die immer wiederkehrenden Wahrheiten in den unterschiedlichsten Systemen.
Im Buddhismus gibt es eine Meditation namens "metta-bhavana".
Kurz gesagt beinhaltet diese Übung das Senden liebevoller Gedanken. Je nach Anleitung beginnt man entweder bei sich selbst oder bei seiner Mutter, fährt bei Familie und Freunden fort, sendet sein Wohlwollen dann an neutrale Personen und schließlich auch an die "schwierigen" Menschen, die Feinde, sofern man welche hat.
Der Sinn dieser Übung liegt meines Erachtens weniger in der Annahme, dass dieses Wohlwollen tatsächlich bei den Betreffenden ankommt, vielmehr findet eine Reinigung des eigenen Geistes statt, indem man sich von Hass und Rachegedanken befreit.

Bei den amerikanischen Stoikern habe ich vor einiger Zeit exakt die gleiche Übung entdeckt.

Allerdings braucht man gedanklich weder ins alte Griechenland, noch ins ferne Südostasien zu reisen um dieses Prinzip zu entdecken. Wenn Jesus bsp.weise in Matthäus 5, Vers 44 sagt:

Ich aber sage euch: Liebt eure Feinde und bittet für die, die euch verfolgen.
geht es um das Gleiche: Psychische Gesundheit und Auflösen von Hass und Rache. Wer mal versucht, auch gerne widerstrebend, für seine Gegner um Gottes Segen zu bitte, erfährt die gleiche Befreiung von Groll, wie der meditierende Buddhist oder Stoiker.

Donnerstag, 19. Juni 2014

Die Suche nach Lust greift zu kurz!


Die Überschrift selbst tut es übrigens auch! Natürlich gibt es Situationen im Leben, in denen das Suchen nach Lust den Sinn einer Tätigkeit ausmacht. Sex ohne gezielt nach angenehmen Gefühlen zu streben ist für mich nicht vorstellbar.

Neulich hatte ich allerdings eine etwas intensivere Trainingsphase in der Kampfkunst die ich betreibe. Zu Beginn einer 2stündigen Einheit stellte ich fest, dass ich müde, durstig und lustlos war. Ich besann mich auf stoische Werte und beschloss, das Training trotzdem mit Anstand und Würde durchzuziehen, und es als  "voluntary discomfort" zu betrachten. Etwa eine Stunde später stellte ich fest, dass meine anfänglichen Beschwerden verschwunden waren, und ich mit Freude und Spaß trainierte.
Aus einer epikureischen Perspektive hätte ich niemals erwartet hier noch Lust zu finden, sondern hätte vielleicht das Training vorzeitig beendet. Nur dadurch, dass das Ziel ein Anderes war, nämlich Disziplin und Durchhaltvermögen zu zeigen, kam ich überhaupt an den Punkt an dem ich Spaß und Freude erfahren konnte.

Natürlich wird man jetzt einwenden, dass auch Epikur empfiehlt Unlust auf sich zu nehmen, um dafür größere Lust zu erfahren. Was aber ist, wenn im Vorfeld die zukünftige Freude garnicht zu erkennen ist? Neigt dann der Epikureer nicht dazu sich vorzeitig in sein Gärtchen zurück zu ziehen, während der Stoiker sich durchbeißt um seine Charakterstärke zu verbessern und am Ende möglicherweise (und unbeabsichtigt!) eine freudige Überraschung zu erleben?

Sonntag, 1. Juni 2014

Trifft ein Stoiker auf einen Epikureer

Hier findet sich ein kurzer, knackiger Text unter o.g. Titel. Der Autor drückt gut meine eigene Empfindung aus. Ich sehe mich im Denken und Handeln eher als Stoiker, im "moralischen" und metaphysischen Bereich aber eindeutig als Epikureer. So weit auseinander wie mancher glaubt, sind beide Positionen garnicht. Auch Seneca erwähnt die Lehre Epikurs lobend, betrachtet sie lediglich als von Schlemmern, Prassern und Säufern mißbraucht und entstellt.
Abstufungen in der Zielsetzung gibt es auch innerhalb der modernen Stoiker. Während Prof. Irvine in "A Guide to the Good Life" als Zielsetzung die "Seelenruhe" (tranquility), also einen angenehmen, erregungsfreien, wünschenswerten Gemütszustand setzt, möchte Donald Roberston in "The Art of Happiness" nur noch das Gute an sich, sprich die Tugend, als Ziel verstanden wissen.
Da Irvine sowohl bei der Negativen Visualisierung als auch bei der Selbstverleugnung (nicht christlich verstehen!) betont wie sehr einem diese Praktiken das Vorhandene wieder neu zu schätzen lehren, nähert er sich hier den Epikureern schon stark an, und wird von Robertson auch entsprechend kritisiert. Ich persönlich bevorzuge allerdings Irvines Standpunkt, da hier der therapeutische Effekt antiker Philosophie gewahrt bleibt.

Mittwoch, 21. Mai 2014

Und wieder: Der Gentleman

Eben beim Laufen durchquerte ich einen der städtischen Parks und sah Menschen in der Sonne liegen und das Leben genießen. Es entwickelte sich ein Gedankengang über den (Arbeitstitel) Gentleman, den vollendeten Mann (sic!) den es in allen Kulturen gab und gibt. Vor die Wahl gestellt zwischen Lust und Pflicht, zwischen Arbeit und Muße, zwischen Askese und Schwelgen, würde dieser sagen:"Beides natürlich! Aber alles zu seiner Zeit!"

Und wie hieß dieser nahezu unbekannteWinkelphilosoph der mir da in den Sinn kam noch gleich? Ach ja, Aristoteles!

„Wer alles flieht und fürchtet und nirgends standhält, wird feige, wer aber nichts fürchtet und auf alles losgeht, wird tollkühn. Ebenso wird, wer jede Lust genießt und sich keiner Lust enthält, unmäßig, wer aber jede Lust meidet wie ein ungehobelter Bauer, wird unempfindlich.“

Lust als Lohn der Tugend (?)

Hier habe ich folgende Tabelle schon einmal erstellt:


BEWUNDERNSWERT
BEGEHRENSWERT
-          Selbstdisziplin
-          Ordnungssinn
-          Verbale und rhethorische Fertigkeiten
-          Intelligenz
-          Zur eigenen Meinung stehen, trotz Gegenwind, aber auch sich durch gute Argumente überzeugen lassen können
-          Angstfreiheit vor Autoritäten
-          Ehre und Würde, auch wenn es Nachteile bringt (Ned Stark ;-))
-          Contenance
-          Selbstbeherrschung gegenüber kulinarischen, sexuellen und monetären Verführungen
-          Durchhaltevermögen (Wildnis, Campen, Marathonläufe)
-          Gleichmut
-          Gelassenheit
-          Innere Unabhängigkeit
-          Gutes Essen und Trinken
-          Sexuelle Abenteuer
-          „Freizeit“, „Ausruhen“, „ Wellness“
-          Verwöhnt werden
-          Gute Emotionen, Glück
-          Finanzielle Sorglosigkeit
-          Gutes Aussehenen/ positive Wirkung aufs andere Geschlecht
-          Mit möglichst wenig Aufwand möglichst viel verdienen
-          Die Bewunderung anderer

Dabei ging es darum, welche Dinge ich an Anderen bewundere, und welchen Dingen ich so im Laufe eines Tages nachjage. Ziel des Ganzen war, das wahrhaft Gute, sozusagen das einzig erstrebenswerte Gut  in diesem Leben auszumachen. Die Stoiker würden nun sagen, in der linken Spalte befindet sich das, was man erstreben sollte, für den Inhalt der rechten Spalte hätten sie wohl nur Verachtung übrig. Die Hedonisten, allen voran die Kyrenaiker würden dagegen der rechten Spalte den Vorzug geben, und ihren Inhalt als äußerst erstrebenswert erachten. Das ist natürlich sehr vereinfacht und holzschnittartig dargestellt.

Ich denke, dass sich beide Spalten aufeinander beziehen. Oder anders gesagt, ich brauche die Fähigkeiten der linken Spalte um die Güter der rechten zu erlangen. Gleichzeitig brauche ich die Wertschätzung für die rechte Spalte, um mich nicht in Pflichten und Tugenden völlig aufzureiben.
So stellt die rechte Spalte gewissermaßen die Früchte und den Lohn für die Tugenden in der linken dar, wobei ich diese Früchte dann nicht weltverachtend von mir weise, sondern gerne genieße.

Da mich das Thema Männer(-Frauen) immer wieder beschäftigt, wähle ich ein Beispiel aus diesem Bereich aus:
Sex ist super, Sex ist klasse, Sex ist in höchstem Maße erstrebenswert. Trotzdem existieren Begriffe wie Hallodri, Grabscher, Spitzklicker, Notgeiler etc. in der Damenwelt, mittels derer jemand der zu offensichtlich nach Sex giert verunglimpft wird. Ja, auch wenn das völlige Verhehlen der Tatsache ,dass man ein MANN ist ebenfalls kontraproduktiv ist, so finden die meisten Frauen das allzu offensichtliche Streben nach dem Geschlechtsakt ziemlich abtörnend. Ich kenne auch keine Frau, die sich von genussverfallenen Weichlingen angezogen fühlt. Nicht umsonst stehen die Mädels auf Männer in Uniform! Das liegt nicht am schönen Lametta!
Verkörpert der Mann allerdings klassische Gentleman-Tugenden, wie Manieren, Mut, Contenance und Understatement, pflegt er sich selbst, ist er charmant und selbstsicher, dann öffnen sich möglicherweise Türen, wo vorher keine zu sein schienen.
Ich widerspreche mir mit diesem Post selbst, aber ich glaube nicht, dass es im formlosen Universum ein Reich der höheren Ideale gibt, aus dem sich das Gute und die Tugenden herleiten lassen. Ich glaube an handfeste, innerweltliche Gründe für Tapferkeit, Durchhaltevermögen und so weiter. Sei es der Erhalt des eigenen Lebens, der Ehre der Frau an Deiner Seite oder auch des Staates, dem Du Deine Freiheit verdankst. Wenn das Leben Dich für Deinen Einsatz aber belohnen möchte, nimm den Lohn an!


Sonntag, 27. April 2014

Das hedonistische Paradox

Das hedonistische Paradox bedeutet grob gesagt:
Je mehr ich versuche aus einer Tätigkeit ein Lustgefühl zu gewinnen, je mehr ich mich darauf versteife, desto weniger wahrscheinlich werde ich tatsächlich dieses Lustgefühl erlangen.

Gehe ich zum Beispiel Laufen mit dem festen Vorsatz ein Runner's High zu erleben, oder mache ich Zazen und will mal wieder ein "Kensho" genießen, werde ich kläglich scheitern. Je konzentrierter und aufgabenbezogener, je weniger ich-bezogen ich dagegen eine Tätigkeit ausführe, desto eher komme ich in den "Flow" und erlebe das dazugehörige Glücksgefühl. Und wenn es mir beim Zazen gelingt alles fallen zu lassen (und dann noch das "alles fallen lassen" fallen zu lassen ;-)), was eben nichts anderes bedeutet als eben Zazen konzentriert und aufgabenbezogen auszuüben, erlebe ich was Versenkung heißt.

Aber ist der Hedonismus deswegen widerlegt? Bedeutet das nun, dass das Suchen von Lust bzw. das Vermeiden von Unlust als letztendliches, sich selbst genügendes Ziel hinfällig ist?

Ich denke nicht.

Wenn wir beim Beispiel des Laufens bleiben, und ich mich frage warum ich laufe, finde ich folgende Antworten

1) wegen des geilen Gefühls danach
2) wegen der Aussicht etwas sportlicher und fitter, und damit gesünder, leistungsfähiger und attraktiver für das andere Geschlecht zu sein
3) wegen der stressreduzierenden Wirkung

Ich finde keineswegs die Antwort:
Weil die reine Tätigkeit des Laufens so toll ist.
Alle drei Antworten laufen aber auf die Aussicht des Lustgewinns bzw. die Vermeidung von Unlust (3) hinaus.
Ich denke, wenn wir das was wir tagsüber tun genauer untersuchen, werden wir immer wieder feststellen, dass wir mit unserer Tätigkeit letztlich Lust suchen oder Unlust vermeiden. Dieser Mechanismus kann sich durchaus komplex tarnen, so zum Beispiel in helfenden Berufen. Viele Helfer sehen nicht, dass ihr Beruf auch einen Lustgewinn durch Machtausübung, Überlegenheitsgefühle ("besser als die egoistische Gesellschaft") und Befriedigung von Abenteuerlust (Polizei, Feuerwehr) mit sich bringt.
Ebenso versprechen alle Religionen für den Verzicht und die Aufopferung im Diesseits einen ewigen Lustgewinn im Leben oder Seinszustand im Jenseits.
Besonders schön beschreibt dies der Koran:

Sure 52,17-24
    17 Die gottesfürchtigen dagegen befinden sich dereinst in Gärten und in einem Zustand der Wonne
    18 und erfreuen sich dessen, was ihr Herr ihnen gegeben hat. Und ihr Herr hat sie vor der Strafe des Höllenbrandes bewahrt.
    19 Zu ihnen wird gesagt: ,Eßt und trinkt und lasst es euch wohl bekommen! Ihr erhaltet dies alles zum Lohn für das, was ihr in eurem Erdenleben getan habt.'
    20 Sie liegen behaglich auf Ruhebetten, die in Reihen angeordnet sind. Und wir geben ihnen großäugige Huris als Gattinnen.
    21 Und mit denjenigen, die im Diesseits gläubig waren, und denen ihre Nachkommenschaft im Glauben gefolgt ist, vereinigen wir im Paradies diese ihre Nachkommenschaft wieder. Und wir schmälern ihnen nichts von ihren Werken. Jedermann haftet für das, was er in seinem Erdenleben begangen hat.
    22 Und wir versorgen sie reichlich mit köstlichen Früchten und Fleisch, allem möglichen wonach sie Lust haben.
    23 Sie greifen in Paradies einer um den andern nach einem Becher mit Wein, bei dem man weder betrunken wird und dummes Zeug daherredet noch sich versündigt.
    24 Und Burschen, die sie bedienen, so vollkommen an Gestalt als ob sie wohlverwahrte Perlen wären, machen unter ihnen die Runde. 

Darum greifen auch alle Konzepte und Systeme, die die Lustgefühle auszuklammern versuchen und an eine Art übergeordneter Verantwortung appellieren ins Leere. Seien dies der Kommunismus, Katholizismus oder auch ein radikaler Stoizismus.
Zu letzterem noch zwei Beispieel:

1) Die Stoa empfiehlt eine einfache, geschmacksarme Kost, da es naturgemäß sei, dass der Mensch isst um sich zu ernähren und nicht um Lust zu empfinden.

Logisch oder? Wissen wir alle!

Das bedeutet also, dass ein Baby deswegen isst, weil seine Vernunft ihm sagt, dass sein Körper Nahrung braucht. Ebenso ein Tier!

Natürlich ist das Quatsch! Wir essen, weil wir ab einem gewissen Hungergrad Unlust empfinden, und die Nahrungsaufnahme uns dann Lust bereitet. Dass der Zweck dieses Lust-Unlust-Geflechtes der Erhalt der körperlichen Funktionen ist, wissen wir auf rein intellektueller Ebene.

Wenn Menschen im Sterbeprozess sind , ist oft ihr Hunger- und Appetitgefühl bereits sehr früh ausgeschaltet. Und dann kann nichts und niemand, keine sorgende Ehefrau, kein intellektuelles Wissen um die Funktion der Nahrung diesen Menschen davon überzeugen zu essen.

2) Genausowenig kann im Katholizismus der Glaube, das Gottvertrauen oder die Angst vor der Hölle die Priester davon abhalten ihrem Sexualtrieb zu folgen und im günstigsten Falle eine Affäre mit einem Erwachsenen zu beginnen oder im schlinmmsten Falle Kinder sexuell zu mißbrauchen. Die Aussicht auf sexuelle Lust ist offensichtlich stärker als alle religiösen Überzeugungen. Man darf hier nicht den Fehler machen, diese Priester pauchal des Unglaubens zu bezichtigen.
Die Psychologin Anna Salter, die beruflich mit Triebtätern arbeitet zitiert einen Geistlichen der seine eigenen Enkel missbraucht hatte folgendermaßen:

Ich habe mein Gewissen nicht eingelullt(...)Ich glaube, dass wenn ich, ein zutiefst gläubiger und religiöser Mensch, mit ganzem Herzen und ganzer Seele davon überzeugt gewesen wäre, das (...)die Hölle mich verschlingen würde, ich hätte trotzdem weiter gemacht!

Anna Salter- "Dunkle Triebe", Goldmann Verlag ,Seite 120


     
     


Stoa und Hedonismus - Zwei Seiten der gleichen Medaille

Lebt man die Stoa radikal als reines Streben nach Tugend, oder den Hedonismus als reines Streben nach Lust ohne bei Beidem Rücksicht auf körperliche und "seelische" Gesundheit zu nehmen, scheint es sich um unvereinbare Gegensätze zu handeln.
Dort allerdings, wo beide Weltanschauungen in eher gemäßigter Form auftreten, wird eine scharfe Abgrenzung schwierig.
Wenn

-  man als Mann von einer Frau mit diesem speziellen Blick angesehen wird, weil man sich inmitten einer Schlägerei gerade schützend vor sie gestellt hat, sprich Tapferkeit gezeigt hat,
- man als Vater nach einem anstrengenden Ausflug über dem Bettchen der selig schlafenden Tochter steht und unsagbares Glück verspürt,
- man sich als Arbeitnehmer nach dem Kurzurlaub im Spa-Ressort wieder darauf freut anzupacken und herausgefordert zu werden,

wird einem klar, dass Lust und Pflicht, Tugend und Freude oft Hand in Hand auftauchen, ohne dass man sagen könnte welches welchem nun voran geht. Über genau diese Frage gerieten sich allerdings stoisch oder hedonistisch beeinflusste Philosophen im Laufe der Jahrhunderte immer wieder in die Haare. Die Frage stellt sich jedoch, ob sie nicht einfach nur zwei unterschiedliche Blickwinkel auf ein und dieselbe Sache haben.

Wenn der Stoiker Seneca zum Beispiel den Reichtum als wünschenswert bezeichnet, ohne dass dieser seine Seele berühren würde, klingt er wie der Hardcore-Hedonist Aristipp, der von seiner Lieblingshure Lais sagt: "Ich besitze sie, werde aber nicht besessen!"

Auch die Hedonisten sind sich einig, dass man manchmal Unbill und Verzicht auf sich nehmen muss, um eine größere Lust zu erlangen oder einen größeren Schmerz zu vermeiden. So kann ein Hedonist durchaus auch im Krieg dienen, wenn er der Überzeugung ist, dadurch langfristig seine Freiheit, oder die seiner Kinder zu wahren, wenn z.B. ein freiheitlich-demokratisches Land von einer fundamentalistischen Diktatur bedroht wird.
Die ursprüngliche Hedonisten waren keinesfalls individualistische Anarchisten, vielmehr sahen sie den Staat als sinnvoll und naturgemäß an, sofern er garantierte dass "(...) wir vor den Menschen ohne Furcht leben können(...)."

Und ein vernünftiger Stoiker muss einräumen, dass ein Leben in freudloser Pflichterfüllung weit entfernt von dem ist, was man als "naturgemäß" bezeichnet.

Folgenden Satz Epikurs kann daher auch jeder Stoiker getrost unterschreiben:

Man kann nicht in Freude leben, ohne mit Vernunft anständig und gerecht zu leben; aber man kann auch nicht vernunftvoll, anständig und gerecht leben ohne in Freude zu leben.
Epikur-Hauptlehrsatz Nr. 5

Montag, 7. April 2014

Paradigmenwechsel

Zugegeben. Die Krim-Krise war und ist auch meine Krise. Vor dem Hintergrund eines internationalen Konfliktes, der schlimmstenfalls in einen Atomkrieg mündet, stellte ich mir erneut die Frage, wofür es sich eigentlich zu leben lohnt.

Gibt es höhere Ziele? Werte?
Gibt es eine Entwicklung der Welt auf eine höhere Stufe?
Gibt es Dinge die kostbarer sind als das eigene Leben?

Oder taumeln wir ziellos, grundlos durch ein kaltes, leeres, mitleidloses Universum?

Zugegeben: Wünschen würde ich mir ersteres, glauben tue ich allerdings letzteres.
Warum ich mir dann keinen Strick nehme? Interessanterweise hat der Gedanke an die letztliche Sinnlosigkeit des Daseins für mich etwas ungemein tröstliches. Und während ich vor weingen Jahren noch dachte, dass dies ein unheimlich moderner Gedanke wäre, war es doch schon der gute alte Epikur, der die Menschen mit solchen Gedanken tröstete.

Ja, nach ernsthaftem Nachdenken und Selbstprüfung habe ich festgestellt, dass meine eigene Position den Epikureern näher steht als den Stoikern. Ich glaube nicht, dass es irgendeinem Menschen möglich ist, etwas zu tun, wenn er sich nicht letztlich eine Steigerung von Lust oder eine Vermeidung von Unlust davon verspricht. Elliot Smith wäre eigentlich der perfekte Stoiker (oder Vulkanier) gewesen, in Wahrheit war er aber völlig lebensunfähig.

Erfahrungen und Dogmen

Ich habe in eibem vergangenen Post ziemlich leichtfertig den Begriff kensho gebraucht. Das könnte nahelegen, dass ich ein überzeugter, praktizierender Zen-Buddhist bin, der genau weiß wovon er spricht.
Das ist jedoch nicht der Fall. Ich denke man muss unterscheiden zwischen Methoden und Dogmen.
Egal ob es sich um Zen, die Stoa oder irgendwelche anderen Weltanschuungen handelt. Auf der einen Seite stehen die Methoden, die unter Umständen zu Erfahrungen führen, auf der anderen Seite stehen die Dogmen, die behaupten die Welt und alles was darinnen ist hinreichend erklären zu können.
Vermischt man beides, schlittert man vielleicht in ein (Denk-)System rein, das einem anfangs einige schöne Erfahrungen und Erfolgserlebnisse bietet, an dessen übersteigerten Ansprüchen man aber letztlich scheitern muss. Und der unermüdlichste Antreiber mit den überzogensten, hehrsten und perfektionistischsten Ansprüchen sind wir leider meistens selbst.

Was meine ich mit Trennung zwischen Methoden und Dogmen? Eine Erfahrung, die ich vielleicht mittels einer bestimmten Methode wie Zazen oder Techniken aus der Stoa mache steht erst einmal für sich selbst. Sie lässt sich nicht wegleugnen oder wegdiskutieren, für den der sie gemacht hat ist sie eine Tatsache. Beginne ich allerdings diese Erfahrung mit den Begriffen eines bestimmten Denksystems zu interpretieren, hole ich mir möglicherweise die (unbewiesenen) Dogmen dieses Systems mit ins Boot. Denn: Wenn die Methode zur angekündigten Erfahrung führt, muss das dahinterstehende System wahr sein, oder?

In einem Buch über Zen wird der Begriff Kensho beschrieben als ein tiefes Berührtsein durch einen Gegenstand des Alltags. Das kann eine Blume, ein Vogelzwitschern oder meinetwegen auch ein frischer, dampfender Hundehaufen sein. Dieser alltägliche Gegenstand bringt in uns etwas zum Klingen, ein Gefühl des Friedens vielleicht, eine Eins-Sein mit allem und ähnlich unbeschreibliche Empfindungen. Soweit die reine Beschreibung der Erfahrung
Dann aber beginnt der Bereich der religiösen Dogmen, indem das Buch folgendermaßen fortfährt: Diese Erfahrung rühre her von einer Reinigung des Geistes, man befinde sich zu diesem Zeitpunkt im Samadhi und werfe einen Blick auf die WAHRE Natur der Dinge!
Folgende, unbeweisbare Behauptungen stecken in diesem kleinen Abschnitt:

- Der Alltagsgeist ist unrein und kann durch Zazen porentief gereinigt werden, dann erst kommt der wahre Geist zum Vorschein.
- Es gibt eine WAHRE Natur der Dinge, die irgendwie viel friedvoller und mystischer ist, auf die man einen Blick erhaschen kann.

Den Bereich der reinen Erfahrung haben wir hier verlassen, und nehmen die Dogmen eines Zen auf uns, das trotz anderslautender Behauptungen in Europa weit verbreitet ist. Dieses beinhaltet Annahmen, die den Praktizierenden zu permanenter Selbstbespiegelung führen, beispielsweise ob er auch schon fühlt und ist, wie man als "Zennie" zu sein hat.  Es beinhaltet einen Dualismus zwischen unserem bösen Eggo(sic!) auf der einen Seite und dem strahlenden, intuitiven Zengeist, der alles richtig macht, auf der anderen.
Und wenn man sich irgendwie unwohl fühlt bei der ganzen Geschichte hilft nur eines: Noch mehr Zazen!

Ich sehe die ganze Geschichte systemischer und eklektischer: Hilft mir eine Methode, ein Gedanke oder eine Praxis mich besser zu fühlen, dann hat sie damit ihre Berechtigung. Ein Gott, ein reiner Geist, eine wahre Natur der Dinge, kurz alles was in den Bereich metaphysische Spekulationen gehört, ist damit noch lange nicht bewiesen.




Hedonismus-besser als sein Ruf!

Und Epikur hat doch recht!

Es muss mit 16 gewesen sein, als ich das erste Mal im Ethik-Unterricht vom Hedonismus gehört habe. Der Weg zum Glück gehe über das Suchen von lustvollen und das Vermeiden von schmerzhaften Gefühlen. Klang logisch! Allerdings auch viel zu einfach! Jetzt, 24 Jahre später, nach Jahren der Beschäftigung mit Religionen wie Buddhismus, Zen, Christentum, und Philosophie, insbesondere Stoizismus, Objektivismus und dem radikalen Konstruktivismus, erscheint mir der philosphische Hedonismus als einzig sinnvolle, durch Logik erkennbare Grundlage zu einem glücklichen Leben.
Lust und Freude sind das einzige, aus sich selbst heraus erstrebenswerte Gut. Wird man gefragt, warum man diese oder jene Strapazen auf sich nimmt, und man antwortet sinngemäß: "Weil es mir Freude/ Spaß/ Lust bereitet!", so ist der Fragesteller im allgemeinen befriedigt.
Ich glaube auch, dass jeder der behauptet "reinere" oder "hehrere" Motive für sein Handeln zu haben, entweder lügt oder einer Selbsttäuschung unterliegt. Selbst derjenige, der sich aus christlichen Motiven "selbst verleugnet" tut dies, weil er mit ewiger Seligkeit im Jenseits rechnet.

Nicht einmal Gott muss man dienen ohne Aussicht auf Belohnung.- Lorenzo Valla

Mittwoch, 26. Februar 2014

Kleines Kensho beim Laufen

Einfache und monotone Tätigkeiten, die eine permanente Wiederholung enthalten, sind laut Graf Dürckheim der Weg nach Innen. Was da Innen allerdings zu finden sein soll, darüber streiten sich die Gelehrten. Vom wahren ICH über den reinen Geist, das kollektive Unterbewußtsein, den göttlichen Funken bis hin zu NICHTS. Ich persönlich sympathisiere vor allem mit letzterem ;-).
Vor allem aber habe ich den Eindruck, dass Laufen oder Zazen meine Hirnchemie derart beeinflussen, dass Grundaussagen der Stoa oder des Konstruktivismus erfahrbar werden. Nicht die Dinge beunruhigen uns, sondern unsere Ansichten über die Dinge.
So kann das gleiche alte, verfallene Haus im einen Moment unsagbar deprimierend wirken, aber in einem anderen Moment mich in seiner tristen Schönheit tief berühren. Das Gehirn sucht eben immer äußere Gründe für seinen Zustand.
Heute habe ich während des Laufens einen Mann gesehen, der seinen Hauseingang geputzt hat. Die Schlichtheit der Tätigkeit, der Duft(sic!) des Putzwassers, die einfache Realität der Handlung hat ein kleines Lauf-Kensho ausgelöst.
Wer es kennt weiß wovon ich rede, wer nicht, dem werde ich es nicht begreiflich machen können.

Letztlich ist DAS der Geist der Haikus

Welch außerordentliches Wunder!
Ich hacke Holz,
Ich schöpfe Wasser aus dem Brunnen!


Dienstag, 18. Februar 2014

Schädliche Gedanken No 3


Und schließlich:
Ich denke: Es ist eine Katastrophe, wenn die äußeren Umstände so sind, dass ich etwas sehr entbehren muss oder weniger bekomme als ich mir wünsche oder dass ich zu lange und zu hart dafür arbeiten muss, damit meine Wünsche sich erfüllen.Ich kann ein Leben nicht ertragen, das mir mehr abverlangt als ich geben will; denn das ist nicht nur hart, das ist zu hart.Mein Leben ist elend und beklagenswert, wenn die Dinge falsch laufen und ich nicht genau das erreiche, was ich will, wann immer ich es will. Es ist so unerträglich, dass es nicht lebenswert ist. Ich könnte mich  genauso gut umbringen,  um diesen schrecklichen Umständen  zu entgehen.

Das nun ist allerdings derart verblendet, dass mir fast die Worte fehlen. Gelesen erscheint es mir fast zu doof, als dass dies jemand wirklich erntshaft denken könnte, und doch, im stillen Kämmerlein entdecke ich an mir durchaus solche Gedankenmuster.
Wer sind wir, dass wir glauben, der Sinn unseres Lebens bestehe in der Rundumversorgung unserer Bedürfnisse durch das Universum? Und wie verweichlicht und degeneriert sind wir, dass wir glauben keinerlei Entbehrungen ertragen zu können? Vor gerademal 70 Jahren wurde eine ganze Generation in einem sinnlosen Krieg verheizt und unser Land buchstäblich in die Steinzeit zurück gebombt, DAS sind elende Umstände.
Doch nichtsdestotrotz befinden wir uns alle in der hedonistischen Tretmühle, wie Irvine es nennt. Wir können nie genug bekommen und sind nie zufrieden. Und wenn Mutti Universum uns kein neues Smartphone schenkt, oder einen Arbeitsplatz genau auf unsere Bedürfnisse zugeschnitten, oder eine neue Liebesbeziehung pünktlich zu den Feiertagen, dann setzen wir uns in die Ecke und schmollen.
Die Stoiker sahen den Weg zum Glück nicht im Erreichen aller unserer Ziele und der Erfüllung aller unserer Wünsche. Vielmehr strebten sie eine innere Haltung an, die uns zufrieden sein lässt mit dem, was wir haben und sind. Und die Härten des Lebens waren für sie willkommene Prüfsteine, die es ihnen ermöglichten, Tugenden wie Tapferkeit, Selbstdisziplin und Genügsamkeit zu entwickeln.

Merke: Benimm Dich im Leben wie bei einem Gastmahl. Eine Speise wird herumtragen und gelangt zu dir: du langst dir zu und nimmst mit Anstand davon. Sie wird vorüber getragen: du hältst sie nicht zurück. Sie ist noch nicht an dich gekommen: du unterdrückst dein Verlangen und wartest ruhig bis sie an dich kommt. So mach es deinen Kindern, deiner Frau, Ehrenstellen und Reichtümern gegenüber und du wirst ein würdiger Tischgenosse der Götter sein.

- Epiktet, Handbüchlein der Moral, 15


Mittwoch, 12. Februar 2014

Schädliche Gedanken No. 2

Das nächste schädliche Gedankenmuster:

Die Menschen, mit denen ich Kontakt habe, müssen mich freundlich und fair behandeln;Wenn sie das aber nicht tun, so muß man sie dafür zur Verantwortung ziehen bzw. sie  verurteilen und verdammen.Ich denke: Es ist schrecklich, wenn du mich weniger freundlich behandelst als du es solltest. Du bist ein ausgesprochen schlechter Mensch, wenn du mich weniger freundlich oder fair behandelst als du solltest.
Menschen behandeln uns mies. Sie sind unhöflich, beleidigend, betrügerisch, aufdringlich, unfreundlich, unfair, grob, verletzend und so weiter und so fort. Und das täglich, unser ganzes Leben lang. Und das offensichtlich nicht nur in sozialen Brennpunkten, sogar der einstmals mächtigste Mann der Erde hat diese Erfahrung in seinem Umfeld machen müssen. So schreibt der römische Kaiser Mark Aurel in seinen Selbstbetrachtungen:


Sage zu Dir in der Morgenstunde: Heute werde ich mit einem unbedachtsamen, undankbaren, unverschämten, betrügerischen, neidischen, ungeselligen Menschen zusammen treffen.
Das Verhalten der Anderen unterliegt nicht unserer Kontrolle. Wenn wir unsere Energie darin verschwenden, das Verhalten der uns umgebenden Menschen nach unseren Wünschen korrigieren zu wollen, schaffen wir uns damit eine nie versiegende Quelle der Frustration. Wenn wir darüber hinaus noch alle Menschen zur Rechenschaft ziehen wollen, die uns angeblich schlecht behandelt haben, vergiften wir unser Leben mit Hass, Rache und anderen unheilsamen Emotionen. Darum sehe ich Jesu Aufforderung zum Beten für unsere Feinde auch nicht in erster Linie als Verleugnung unserer eigenen Rechte und Standpunkte, sondern vor allem als Anleitung zur eigenen psychischen Gesundheit. Im Buddhismus gibt es Ähnliches, aber dazu ein andermal mehr.
So ergeht sich Mark Aurel auch nicht in der Vorwegnahme von Rache und zur Rechenschaft ziehen, sondern fährt fort:

Alle diese Fehler sind Folgen ihrer Unwissenheit hinsichtlich des Guten und des Bösen.
Er betrachtet seine unangenehmen Mitmenschen also weniger als böse und verdorben, sondern vielmehr als schlecht unterrichtet. Im Grunde nimmt er damit die Position eines Vaters zu seinen Kindern ein, der seine Kinder nicht als schlecht und verkommen ansieht, wenn sie sich nicht benehmen, sondern als der Erziehung und Anleitung bedürftig.

Ich aber habe klar erkannt, dass das Gute seinem Wesen nach schön, und das Böse hässlich ist, dass der Mensch der gegen mich fehlt in Wirklichkeit mir verwandt ist (...) weil wir gleichen Anteil an der Vernunft, der göttlichen Bestimmung (haben). Keiner kann mir Schaden zufügen(...).Ebensowenig kann ich dem der mir verwandt ist zürnen oder ihn hassen, denn wir sind zur gemeinsamen Wirksamkeit geschaffen, wie die Füße, die Hände, die Augenlider, wie die obere und untere Kinnlade. Darum ist die Feinschaft der Menschen untereinander wider die Natur. Unwillen aber  und Abscheu in sich zu fühlen IST eine Feindseligkeit (Hervorhebung von mir).

Mark Aurel sieht die Feindschaft gegen andere Menschen also als einen Verstoß gegen den stoischen Grundsatz in Übereinstimmung mit der Natur zu leben. Die Menschen sind vielmehr zur Zusammenarbeit und gegenseitiger Unterstützung geschaffen.

Das Verhalten unserer Mitmenschen ist zunächst mal eine nackte, unvermeidbare Tatsache, die jenseits unserer Kontrolle liegt. Propfen wir aber jetzt noch eigene Emotionen und Urteile auf diese Fakten, schaden wir am allermeisten uns selbst. Wir vergiften unseren Geist mit Hass und Feindschaft, und fallen aus dem naturgemäßen Leben heraus.


Sonntag, 9. Februar 2014

Schädliche Gedanken No 1

...und das stoische Gegenmittel.

Auf dieser Website habe ich drei schädliche Denkmuster entdeckt, die auf Albert Ellis den Gründer der REVT zurück gehen. Beim Lesen fiel mir zum Einen auf, wie sehr ich selbst von derartigen Denkmustern betroffen bin, aber auch wie die "Therapie" in Form stoischer Philosophie aussehen könnte.

Ich muss bei den Dingen, die ich tue, erfolgreich bzw. perfekt sein und muss die Wertschätzung und Anerkennung der Menschen haben, die mir wichtig sind.Ich denke: Ich bin nichts wert, wenn ich nicht erfolgreich bin und die anderen mich nicht wertschätzen.

Erfolg zu haben liegt außerhalb unserer Kontrolle. Erfolg ist von so vielen äußeren Faktoren abhängig, dass es nichts(!) gibt, was uns Erfolg garantieren kann. Nichtsdestotrotz gibt es Verhaltensweisen, die die Aussicht auf Erfolg, egal in welcher Hinsicht, zumindest erhöhen. Fleiß, Selbstdisziplin, Zielstrebigkeit, Leidenschaft um nur einige zu nennen.
Was baer, wenn trotz aller Bemühungen der Erfolg ausbleibt? Ist es dann vernünftig mich als Versager zu sehen, mein Leben als nicht mehr lebenswert zu betrachten und anderen ihren Erfolg zu neiden?
Der Stoiker setzt seine Bemühungen in den Bereichen ein, die seiner unmittelbaren Kontrolle unterliegen. Dazu gehören auch die oben genannten Verhaltensweisen. So wird ein Sportler für Olympia alles daran setzen, optimal trainiert in den Wettkampf zu starten. Ob er  aber nun wirklich eine Medaille holt, oder nicht, unterliegt nicht mehr seiner Kontrolle, da er gegen X andere mit dem gleichen Ziel antritt, und eben nur drei aufs Podest passen. Daher ist es ein vernünftigeres Ziel, im Training und Wettkampf sein Bestes zu geben, und den Rest dem Schicksal anheimzustellen.
Donald Robertson, Auto des Buches Stoicism and the Art of Happiness beschreibt dies als "Handeln mit Reserveklausel". Diese Klausel findet sich im religiösen Kontext oft als Formulierung wie "so Gott will" oder "Inschallah". "Ich werde die Goldmedaille holen, so das Schicksal es zulässt!"
Seneca bringt in diesem Zusammenhang das Beispiel des Bogenschützen. Dieser kann sich vor seinem Schuß optimal aufstellen, seinen Atem kontrollieren, sorgfältig zielen, exakt spannen, den Wind beachten, geschmeidig die Sehne aus den Fingern lösen...aber in dem Moment in dem der Pfeil fliegt liegt es nicht mehr in der Hand des Schützen, ob er sein Ziel trifft. Dieses bewegt sich vielleicht plötzlich, oder aber eine Windbö mit der niemand rechnen konnte verändert die Flugbahn des Pfeiles.
Von daher ist es vernünftig stets unser Bestes zu geben, Erfolg und Misserfolg aber den Göttern (oder wem auch immer ;-)) anheim zu stellen. Ob wir aber gute oder liebenswerte Menschen sind entscheidet sich auf einem anderen Schlachtfeld

Freitag, 7. Februar 2014

Der nervöse Kithara-Spieler

..oder angewandte Philosophie im Hier und Jetzt.

Seit einigen Monaten nehme ich Gitarrenunterricht. Etwa im November oder Dezember setzte mich mein Lehrer in Kenntnis darüber, dass ich im Februar an einem kleinen Konzert anwesend sein solle...allerdings nicht als Zuhörer wie ICH dachte, sondern als Teil der Vorstellung.
Sofort musste ich natürlich an Irvine denken, der in seinem Buch eine "banjo-recitation" scherzhaft als das Schlimmste bezeichnete, was er je erlebt habe.
Was soll ich sagen, ich war natürlich hypernervös. Wie würde das Publikum reagieren? Würde ich mich blamieren? Würde mein Gitarrenlehrer enttäuscht sein?
Alles Dinge die außerhalb meiner Kontrolle liegen. Das einzige was ich tun konnte war üben, üben, üben um optimal vorbereitet in die Situation zu gehen.

Epiktet bringt das Beispiel des nervösen Kithara-Spielers, der zwar alleine im stillen Kämmerlein sein Instrument hervorragend beherrscht, aber vor Publikum versagt. Sein Versagen allerdings rührt daher, dass er sich von äußerlichen, nicht seiner Kontrolle unterliegenden und damit "indifferenten" Dingen abhängig macht. Dem Wunsch dem Publikum zu gefallen oder auch einfach besonders "gut" zu spielen.

Aber GERADE der Wunsch, jetzt und hier BESONDERS gut zu sein, hindert uns daran unser Können frei fließen zu lassen.

Alle diese Gedanken halfen mir, meine Nervosität nicht überborden zu lassen. Als mein Auftritt gekommen war und ich mich auf die Bühne setzte, konnte ich mit Hilfe stoischer Einstellungen das Publikum weitestgehend ausblenden, und spielte einfach das was ich immer und immer wieder geübt hatte, so gut wie es in diesem Moment eben ging. Und siehe da, es war nicht perfekt, aber blamiert hatte ich mich auch nicht.

Freitag, 24. Januar 2014

Das wahrhaft Gute

Ich lese gerade dieses Buch. Auch wenn ich erst 36% davon gelesen habe(ebook-Reader macht eine so genaue Angabe möglich ;-)), halte ich es für sehr empfehlenswert.
Darin wird unter anderem eine sehr interessante Übung zum Thema "Was ist aus sich selbst heraus gut?" empfohlen. Dabei teilt man eine Blatt in zwei Spatlten, überschreibt die eine mit "BEWUNDERNSWERT", die andere mit "BEGEHRENSWERT".

In die Spalte "BEWUNDERNSWERT" schreibt man sämtliche Dinge, Eigenschaften u.ä. die man ehrlich und aufrichtig an Anderen bewundert, bzw. die unseren Respekt verdienen, oder Vorbildcharakter für uns haben.

In die Spalte "BEGEHRENSWERT" schreibt man auf, was man sich für sich selbst wünscht, was man erstrebenswert findet, wofür man tagsüber viel Zeit aufwendet, um es zu bekommen.

Dann lässt man das Ergebnis auf sich wirken. Bei mir sah das ungefähr so aus:


BEWUNDERNSWERT
BEGEHRENSWERT

-          Selbstdisziplin
-          Ordnungssinn
-          Verbale und rhethorische Fertigkeiten
-          Intelligenz
-          Zur eigenen Meinung stehen, trotz Gegenwind, aber auch sich durch gute Argumente überzeugen lassen können
-          Angstfreiheit vor Autoritäten
-          Ehre und Würde, auch wenn es Nachteile bringt (Ned Stark ;-))
-          Contenance
-          Selbstbeherrschung gegenüber kulinarischen, sexuellen und monetären Verführungen
-          Durchhaltevermögen (Wildnis, Campen, Marathonläufe)
-          Gleichmut
-          Gelassenheit
-          Innere Unabhängigkeit

-          Gutes Essen und Trinken
-          Sexuelle Abenteuer
-          „Freizeit“, „Ausruhen“, „ Wellness“
-          Verwöhnt werden
-          Gute Emotionen, Glück
-          Finanzielle Sorglosigkeit
-          Gutes Aussehenen/ positive Wirkung aufs andere Geschlecht
-          Mit möglichst wenig Aufwand möglichst viel verdienen
-          Die Bewunderung anderer

Tja, was denn nun?

Mittwoch, 22. Januar 2014

Der weise Mann benötigt nichts, und kann doch von jedem Ding guten Gebrauch machen.
Der Narr benötigt zahllose Dinge und kann doch mit nichts davon etwas gescheites anfangen.

Chrysippus

Donnerstag, 9. Januar 2014

Die Würde des Menschen

ist unantastbar. So steht es im Artikel 1 des Grundgesetzes, und darüber bin ich sehr froh. Es bedeutet, dass kein Mensch diskriminiert, ausgegrenzt, gedemütigt oder gefoltert werden darf. Es bdeutet auch, dass jeder Mensch von Geburt an eine Würde hat, die heilig ist.

Auch die Kirchen betonen heutzutage die Menschenwürde, und legen besonderen Wert darauf, dass sich diese aus dem christlichen Menschenbild ableiten würde. In der (politischen!) Diskussion um Armut und Sozialleistungen des Staates betonen die Amtsträger insbesondere, dass die Würde des Einzelnen nicht an seiner Gesundheit, Arbeitsfähigkeit oder seiner Nützlichkeit für die Gesellschaft festmachen lasse.
Aber worin besteht diese Würde denn? Ein Wert, ein Begriff wie "Würde" oder auch "Treue" oder "Gerechtigkeit" schwebt ja nicht irgendwo im luftleeren Raum, sondern muss immer in konkretem Handeln sichtbar werden. Ich erlebe genug Menschen, die sich dieser Würde selbst berauben, indem sie beispielsweise volltrunken, von ihren eigenen Exkrementen bedeckt in der Gosse liegen.
Oder indem sie mit ihrem Verhalten für ihre Umwelt nur eine Belastung und Belästigung darstellen.
Indem sie sich Stück für Stück von der Glotze verdummen lassen, ihren Süchten fröhnen und allen anderen die Schuld für ihre Situation geben.

Tue ich einem Menschen wirklich einen Gefallen, wenn ich ihm versichere, dass er immer noch im Vollbesitz seiner Würde ist, egal wie sehr er sich gehen lässt?

Ich kannte mal eine Frau, die an multipler Sklerose im fortgeschrittenen Stadium litt. Sie verbrachte ihre Tage meist zu Hause und war auf komplette Rundumversorgung durch einen Pflegedienst angewiesen. Alles was sie noch konnte war lesen und telefonieren. Sie übernahm deshalb für ihren Verein die telefonische Rekrutierung und Einteilung von Vereinsmitgliedern für eine bestimmte regelmäßig wiederkehrende Aufgabe. Während dieser Telefonate zeigte sie sich als äußerst kluge und gebildete Frau, die auch manchen gute Rat auf Lager hatte. Diese Frau genoss den Respekt und die Dankbarkeit ihrer Umgebung und war trotz ihrer körperlichen Situation im Vollbesitz ihrer Würde.

Niemand kann uns an der Ausübung unserer Tugenden hindern.

Und niemand hindert uns daran, für die Gesellschaft von Nutzen zu sein. Niemand hindert uns daran, der alten Dame von nebenan die Zeitung vorzulesen, den Müll in dem kleinen Park wegzuräumen, Telefondienste zu übernehmen, Kuverts von Rundbriefen zu adressieren, bei öffentlichen Veranstaltungen zu helfen, alte Leute zu besuchen etc.

So klein der Dienst auch sein mag, Deine Würde bekommst Du indem Du Dich selbst beherrschst und etwas für andere tust. Und diese Würde muß auch jeden Tag von Neuem erworben werden.

Ohne praktizierte Tugenden jedoch bleibt Würde ein blutleeres, inhaltloses Lippenbekenntnis.


Gewöhnlich verachtet man freilich den, der nicht imstande ist, einem zu schaden. Es ist richtiger den zu verachten, der nicht imstande ist, zu nützen.

Epiktet- Unterredungen, Fragment 7

Freitag, 3. Januar 2014

Happy-End-Garantie?

Unser Kopf ist voll von Geschichten. Geschichten die wir gelesen, als Film im Kino gesehen oder als Aufführung im Theater gesehen haben. Eine gute Geschichte ist immer spannend, dramatisch, voller schicksalhafter Wechselfälle und geht meistens gut aus. Auch unsere Freunde und Familienmitglieder erzählen uns gerne gute Geschichten, die sie selbst erlebt haben. Dass dabei mal ein bisschen frisiert und dramatisiert wird schadet nichts, schließlich wollen wir als Zuhörer auch eine anständige Pointe. Und schließlich sind Geschichten unterhaltsam und lehrreich.

Was wir allerdings NIE tun sollten (und leider zu oft tun) ist, uns selbst Geschichten zu erzählen. Wenn wir unser Leben mit einem Roman verwechseln, werden unsere Erwartungen irrational. Dann glauben wir plötzlich, dass sich das Gute immer durchsetzt, oder dass es in unserem Leben nur DIE eine Liebe geben kann. Oder dass Emotionen wichtiger sind als Vernunft.
Wir geben dann den einfachen, nackten Tatsachen in unserem Leben schicksalhafte Bedeutungen. Oder vermuten Verhängnisse und Unheil, wo keines ist. Geben anderen Menschen die Schuld an unserer Situation, oder sehen weit zurückliegende Ereignisse als bestimmend für unser ganzes Leben an. Wir glauben dann vielleicht auch an den großen Retter, der unser Leben richten wird. Das kann der perfekte Partner, aber auch ein spiritueller Meister oder Seelsorger sein.

Die Dinge geschehen einfach im unabänderlichen Fluss der Atome und entziehen sich weitestgehend unserer Kontrolle. Unsere Urteile darüber jedoch stehen ganz in unserer Macht. Wenn wir uns Geschichten erzählen, die uns als Opfer beschreiben, oder als ohnmächtig einer Romanhandlung ausgeliefert, geben wir die einzige Macht ab, die wir haben.

Darum sollten wir uns darin üben, unseren inneren Dialog auf irrationale  (Lieblings-)Geschichten abzuhören, und uns nicht davor scheuen auch unsere Urteile über Vergangenes neu zu überdenken.

Das Leben ist einfach das Leben und kein Roman.