Donnerstag, 9. Januar 2014

Die Würde des Menschen

ist unantastbar. So steht es im Artikel 1 des Grundgesetzes, und darüber bin ich sehr froh. Es bedeutet, dass kein Mensch diskriminiert, ausgegrenzt, gedemütigt oder gefoltert werden darf. Es bdeutet auch, dass jeder Mensch von Geburt an eine Würde hat, die heilig ist.

Auch die Kirchen betonen heutzutage die Menschenwürde, und legen besonderen Wert darauf, dass sich diese aus dem christlichen Menschenbild ableiten würde. In der (politischen!) Diskussion um Armut und Sozialleistungen des Staates betonen die Amtsträger insbesondere, dass die Würde des Einzelnen nicht an seiner Gesundheit, Arbeitsfähigkeit oder seiner Nützlichkeit für die Gesellschaft festmachen lasse.
Aber worin besteht diese Würde denn? Ein Wert, ein Begriff wie "Würde" oder auch "Treue" oder "Gerechtigkeit" schwebt ja nicht irgendwo im luftleeren Raum, sondern muss immer in konkretem Handeln sichtbar werden. Ich erlebe genug Menschen, die sich dieser Würde selbst berauben, indem sie beispielsweise volltrunken, von ihren eigenen Exkrementen bedeckt in der Gosse liegen.
Oder indem sie mit ihrem Verhalten für ihre Umwelt nur eine Belastung und Belästigung darstellen.
Indem sie sich Stück für Stück von der Glotze verdummen lassen, ihren Süchten fröhnen und allen anderen die Schuld für ihre Situation geben.

Tue ich einem Menschen wirklich einen Gefallen, wenn ich ihm versichere, dass er immer noch im Vollbesitz seiner Würde ist, egal wie sehr er sich gehen lässt?

Ich kannte mal eine Frau, die an multipler Sklerose im fortgeschrittenen Stadium litt. Sie verbrachte ihre Tage meist zu Hause und war auf komplette Rundumversorgung durch einen Pflegedienst angewiesen. Alles was sie noch konnte war lesen und telefonieren. Sie übernahm deshalb für ihren Verein die telefonische Rekrutierung und Einteilung von Vereinsmitgliedern für eine bestimmte regelmäßig wiederkehrende Aufgabe. Während dieser Telefonate zeigte sie sich als äußerst kluge und gebildete Frau, die auch manchen gute Rat auf Lager hatte. Diese Frau genoss den Respekt und die Dankbarkeit ihrer Umgebung und war trotz ihrer körperlichen Situation im Vollbesitz ihrer Würde.

Niemand kann uns an der Ausübung unserer Tugenden hindern.

Und niemand hindert uns daran, für die Gesellschaft von Nutzen zu sein. Niemand hindert uns daran, der alten Dame von nebenan die Zeitung vorzulesen, den Müll in dem kleinen Park wegzuräumen, Telefondienste zu übernehmen, Kuverts von Rundbriefen zu adressieren, bei öffentlichen Veranstaltungen zu helfen, alte Leute zu besuchen etc.

So klein der Dienst auch sein mag, Deine Würde bekommst Du indem Du Dich selbst beherrschst und etwas für andere tust. Und diese Würde muß auch jeden Tag von Neuem erworben werden.

Ohne praktizierte Tugenden jedoch bleibt Würde ein blutleeres, inhaltloses Lippenbekenntnis.


Gewöhnlich verachtet man freilich den, der nicht imstande ist, einem zu schaden. Es ist richtiger den zu verachten, der nicht imstande ist, zu nützen.

Epiktet- Unterredungen, Fragment 7

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