Montag, 28. Oktober 2013

Das UMZU-Problem

Ich lese gerade wieder diverse Veröffentlichungen zum Thema Gentleman. Wie ich in einem anderen Post bereits gesagt habe, gibt es sehr viel Deckungsgleichheit zwischen dem GM und dem Stoiker. Mark Aurel hat in seinen Selbstbetrachtungen viel über den Umgang mit seinen Mitmenschen geschrieben und forderte sogar, dass sich das Innere im Äußeren spiegeln solle. Er bezog es auf Körper und Mimik, aber hier sind wir nicht mehr weit weg von dem gepflegten Äußeren und der gelassenen Haltung des GM.

Nichtsdestotrotz stößt mir eine Sache bei der ganzen Etikette-Gentleman-Geschichte immer wieder auf: das zweckgebundene, auf ein bestimmtes Ziel gerichtete.
Sei ein Gentleman, und die Türen zum Traumjob, Traumhaus, zur Traumfrau und zur Traumgesellschaft steht Dir offen! Gewinne den Respekt und die Bewunderung der Anderen! Wirke überzeugend und überzeuge die Anderen!

Das nenne ich das UMZU-Problem. Ich benehme mich UM meine Wünsche ZU erfüllen. Ich kleide mich sauber und ordentliche UM sympathisch ZU wirken. Ich halte Türen auf, bringe Blumen mit, zahle im Restaurant UM Frauen ZU beeindrucken.

Abgesehen davon, dass Menschen sehr feine Antennen dafür haben, wann eine Handlung von Hintergedanken gesteuert wird, was ist, wenn gutes Benehmen und tugendhaftes Verhalten genau das Gegenteil des oben gesagten bewirken?

Wenn ich in einem kommunistischen Staat lebe, wo mir die Verkörperung des Gentlemans als Klassendünkel ausgelegt wird? Wenn ich im dritten Reich in der Straßenbahn für eine Jüdin den Sitzplatz räume und plötzlich als "Judenknecht" angefeindet werde? Oder wenn ich einfach in einer Umgebung lebe, die nur Spott und Hohn für meine Ambitionen übrig hat? Was ist, wenn mir das Wahre, Schöne und Gute nur Nachteile bringt? Lege ich es dann ab, weil ich es ja nur um des Vorteils willen verkörpern wollte?

Ein klares Nein! Bei den Stoikern geht es um mehr als nur den Karriere-Motor zu ölen. Nach ihnen gibt es außer der Tugend gar nichts Gutes, und ihr sollte ausschließlich um ihrer selbst willen nachgestrebt werden.

Das UMZU-Problem geht übrigens noch weiter: Laufen UM abZUnehmen; Zazen UM erleuchtet ZU werden; Singen UM berühmt ZU werden...wer bringt die Disziplin auf, um eines Fernziels willen Dinge zu tun die er hasst? Ich denke daher wir sollten ein gewisses amouröses Verhältnis zu den Dingen haben die wir tun, dann tun wir sie auch regelmäßig und gerne!

Die Tugend um ihrer selbst willen lieben? Das Richtige tun, weil die Belohnung dafür in der Handlung selbst liegt? Was für ein Quatsch, oder? Probiers doch einfach mal aus!

Samstag, 19. Oktober 2013

Die sechs Säulen des Selbstwertgefühls

Eines der besten Bücher die ich bisher zum Thema Selbstwert gelesen habe ist das o.g. von Nathaniel Branden. Anstelle seichter Wohlfühl- und Selbstliebepsychologie gepaart mit eine paar Affirmationen und etwas Wellness, stellt Branden 6 sogenannte Praktiken in den Mittelpunkt seiner Überlegungen:

1)  Bewußt leben
2) Sich selbst annehmen
3)  Eigenverantwortlich leben
4) Sich selbstsicher behaupten
5) Zielgerichtet leben
6) Integrität

Auch wenn bei manchen dieser Formulierungen zunächst der typische Ratgeber- / Selbsthilfetenor anzuklingen scheint, legt Branden diese Praktiken sachlich, pragmatisch und ohne jedes esoterische Geschwafel aus.
Meiner Ansicht nach handelt es sich bei diesen sogenannten Praktiken um nichts anderes als das, was die antiken Philosophen als Tugenden bezeichneten. Man könnte die o.g. sechs Punkte auch folgendermassen umschreiben (und hier wähle ich teilweise Brandens eigene Worte):

1) Sein Leben unter die Herrschaft der Vernunft stellen -> Klugheit, Weisheit
2) Sich selbst ein Freund sein -> Milde, Mäßigung (anstatt Selbstüberforderung)
3) Niemanden ausnutzen und sich selbst nicht ausnutzen lassen -> Stolz, Unabhängigkeit
4) Tapferkeit, Aufrichtigkeit, Wahrheitsliebe, nicht schleimen, sich nicht verkaufen
5) Proaktives Handeln, Selbstdisziplin
6) Tugenden und Werte entwickeln und auch danach leben--> Fair Play, Gerechtigkeit

Am besten an Branden gefällt mir, dass er immer wieder unser Handeln in den Mittelpunkt stellt, nicht das theoretische Erörtern von Tugenden oder Werten. Letztere entstehen bei ihm ausschließlich durch unser Tun.

Nathaniel Branden ist kein Stoiker. Er war lange Zeit mit der Schriftstellerin und Philosophin Ayn Rand befreundet bevor er sich mit ihr überworfen hatte. Deren Philosophie, der Objektivismus prägt Brandens Denkweise immer noch. So sind die von ihm gewählten Beispiele oft deutlich prokapitalistisch, und naturgegebene Pflichten. jenseits von "Verträgen" scheint es für ihn nicht zu geben.
Auch seine Aussage "Mein Leben gehört mir!" könnte ich nicht vorbehaltlos unterschreiben. (siehe auch hier)

Nichtsdestotrotz ist das Buch ein wertvoller und empfehlenswerter Ratgeber für die eigene Lebensgestaltung.


Freitag, 11. Oktober 2013

Generation Komasaufen oder "Dein Leben gehört nicht Dir!"



... etwa freier nach Brad Warner.

Wenn wir eines Tages von unserer Mündigkeit, Selbständigkeit und Unabhängigkeit überzeugt sind, kann es passieren, dass wir glauben, dass es niemanden etwas angehe was wir mit unserem Leben tun.

Es geht keinen etwas an, ob ich mich betrinke, bekiffe oder sonstwie zudröhne. Es geht niemanden etwas an, ob ich rauche, zuviel Fett fresse oder der einzige Sport den ich betreibe in dem Fußweg zwischen Kühlschrank und Couch besteht.

Es kann mir auch keiner vorschreiben, wie ich mich kleide, wie oft ich dusche oder ob ich die Grundsätze der allgemeinen Höflichkeit beachte.

Schließlich gehört mein Leben mir, oder?

Nicht dem Vater der mich gezeugt, nicht der Mutter die mich geboren und gestillt hat. Nicht meinen Eltern und Erziehern die mir Sprechen, Lesen, Schreiben, Rechnen, Schwimmen, Radfahren und den Unterschied zwischen Gut und Böse beigebracht haben. Nicht dem Bäcker der mein Brot bäckt, dem Bauern der meine Milch produziert, nicht dem Busfahrer der mich zur Arbeit fährt oder dem Unternehmer, der mich bezahlt. Schon garnicht gehört es meiner Ehefrau oder meinen Kindern. Nein, ich bin eine Insel, unabhängig und frei.

Schön wäre es (vielleicht)!

Du besäufst Dich und verkotzt die Wohnung Deines Kumpels, bevor Dich der Rettungsdienst in die Klinik fährt, wo sich die Krankenschwester um Dich kümmert und dadurch weniger Zeit hat für die wirklich Kranken.
 Du bekiffst Dich und fährst dann das Kind Deiner Nachbarin tot, die daraufhin ihres Lebens nicht mehr froh wird.
 Du rauchst und überfrisst Dich und gehst dann zu Deinem Arzt um Dir teure Medikamente verschreiben zu lassen, die deine Krankenkasse und damit die Allgemeinheit zahlt..
 Dein Körpergeruch belästigt Deine Umgebung, Deine verdreckten Klamotten sind eklig und Deine unwirsche Art versaut der jungen Auszubildenden im Lokal den ersten Arbeitstag.

Die Stoiker sind davon überzeugt, dass alles im Kosmos miteinander verbunden ist. Ähnlich sehen es die Buddhisten. Unser gesamtes Handeln hat Auswirkungen auf die Menschen um uns herum und letztlich auf das gesamte Universum, selbst wenn letzteres nicht so unmittelbar zu erkennen ist.
Von daher glauben die Stoiker, dass das einzig Gute im tugendhaften Handeln liegt. Wir können zwar die Welt nicht retten, aber jeder von uns kann sie ein Stück weit verbessern, wenn er die Dinge, die seiner Kontrolle unterliegen, gut macht.
Wenn Dich an einem Mitmenschen etwas abstößt, maßregele ihn nicht, sondern trachte danach sein Gegenteil zu verkörpern!

Montag, 7. Oktober 2013

Die totale Kontrolle

Man muss in sein ganzes Leben wie in jede Einzelhandlung Ordnung bringen; ist jede Handlung nach besten Kräften getan, so muss man sich dabei genügen lassen; dass Du aber Deine besten Kräfte einsetztest, daran kann Dich niemand hindern.
Marc Aurel-Selbstbetrachtungen, 8. Buch, Vers 32

Immer wieder, in unzähligen Situationen im Alltag komme ich darauf zurück, dass einzig und allein mein eigenes Tun meiner Kontrolle unterliegt. Ich kann nicht das Verhalten meiner Mitmenschen kontrollieren, aber meine Reaktion. Nicht das Arbeitsaufkommen im Berufsalltag, aber meine Organisation und Prioritäten. Nicht die Meinung meiner Umgebung über mich, wohl aber die Integrität meines Tuns. In dieser Konzentration auf das was ich kontrollieren kann, liegt eine ungeahnte Machtfülle.

Freitag, 4. Oktober 2013

Der Stoiker und der Gentleman

Tugenden sind in und das ist gut so. Während zum einen das Christentum an Deutungs- und Bindungskraft verliert, versuchen die Menschen in der westlichen Hemissphäre das entstehende Werte-Vakuum neu zu füllen.
Ein dahingehender Versuch der mir dabei immer wieder begegnet und mit dem ich mich selbst teilweise identifizieren kann ist das Ideal des Gentleman.
In der Astronomie gibt es den Trick an einem Himmelsobjekt knapp vorbei zu schauen um es deutlicher zu erkennen. Das hängt wohl mit der Lage gewisser Rezeptoren im Auge zusammen.
Auf ähnliche Weise kann man auch den Gentleman betrachten um den Stoiker besser zu verstehen, haben sie doch vieles gemeinsam.
Der Gentleman ist unabhängig, und doch achtet er genau auf seinen Umgang mit Anderen. Er trachtet danach, das Gegenteil dessen zu verkörpern, was ihn an anderen abstößt. Wichtiger als die Herrschaft über andere ist ihm die Herrschaft über sich selbst. Er pflegt seine Tugenden nicht um andere zu beeindrucken, sondern um sich selbst gegenüber treten zu können. Das ist die Quelle seines Selbstwertgefühls.
Er ist höflich, mutig, klug, maßvoll und Fair Play geht ihm über alles. Hier finden wir sie wieder die 4 Tugenden der alten Griechen:
Weisheit, Gerechtigkeit, Mäßigung und Tapferkeit.
Betrachten wir Mark Aurel, so finden wir in seinen Selbstbetrachtungen viele Passagen, die sich dem Umgang mit seinen Mitmenschen widmen. Dadurch eignet sich dieses Büchlein auch als Handbuch für den Gentleman.

Allerdings ist der Gentleman ein Ideal, das mit positiven Eigenschaften geradezu überfrachtet ist. Dadurch wird er unscharf und stellenweise auch widersprüchlich. So unabhängig wie er sein soll, so abhängig ist er doch von dem Bilde das Andere von ihm haben. Da er sich selbst nie als Gentleman bezeichnen würde (aber trotzdem einer sein möchte) wird sein Ziel möglicherweise sein, dass Andere ihn als solchen bezeichnen. Hier verliert er allerdings schnell den Boden unter den Füßen und macht sich erpressbar ("Wie? Du tust XY nicht? Ich dachte Du wärst ein Gentleman?)
Ein klarer Unterschied zum Ideal des stoischen Weisen ist das Verhältnis zu Frauen. Hier wird vom Gentleman eine romantisierte ritterliche Galanterie erwartet. Auch hier muss er acht geben, nicht einem weit verbreiteten Bild entsprechen zu wollen, das so vielschichtig ist, dass es kaum zu erfüllen ist. Das bedeutet nicht, dass er seiner Herzensdame keine Gefühle zeigen darf, oder Frauen schwere Gegenstände alleine schleppen lässt. Aber er achtet immer darauf, dass sein Tun dem Augenblick angemessen ist, und er tut es um der Belohnung willen die in der Handlung selbst liegt, und nicht aus (sexuellem) Kalkül.
Leider wird in der Werbung und im Internet noch ein Aspekt des Genteman-Ideals verbreitet, das nur einem Zweck dient: Verkaufen.
Hier wird der Gentleman als ein Mann dargestellt, der sich immer in den teuersten Zwirn der am meisten etablierten Maßschneider kleidet, der sich mit erlesenen Uhren, Autos, Häusern, Wein, Whiskeys, Zigarren etc. umgibt und der aufgrund dieser Tatsachen permanent von schönen Frauen umringt ist. Dazu noch ein bisschen seichtes Self-Development für den beruflichen und privaten Erfolg und fertig ist der Gentleman.
Hinter diesem Bild steht natürlich die allmächtige Werbeindustrie.
Leider ist dieses Schönwetter-Ideal auch nicht tragfähig für Krisenzeiten, denn dieser Gentleman braucht vor allem zwei Dinge: Geld und Publikum, also Dinge die man ihm jederzeit nehmen kann.
Der stoische Weise dagegen ist zwar kein Asket und Kostverächter (siehe Seneca). Allerdings ist er durch seine innere Unabhängigkeit in der Lage auch ohne den schönen äußerlichen Schein gut und glücklich zu leben.

Mittwoch, 25. September 2013

Wie wird man zum Stoiker?


Einmal angenommen wir versprechen uns von so etwas Angestaubtem wie der stoischen Philosophie und von so altertümlichen Charakteren wie Seneca und Marc Aurel tatsächlich Lebenshilfe und so etwas wie einen Weg zum Glück, so bleibt die Frage: Wie wird man denn nun zum praktizierenden Stoiker?

Der amerikanische Philosphieprofessor William B. Irvine beschreibt in seinem genialen Buch "A Guide to the Good Life" sehr strukturiert den Weg dorthin. Aus den Schriften der Stoiker extrahiert er zunächst eine Handvoll "Mentaltechniken", um dann weitere Anwendungen in verschiedenen Lebenssituationen zu beschreiben. Bei letzterem kommt er immer wieder auf eine Variation der vorgestellten Mentaltechniken zurück.

Diese sind:

1) Negative Visualisierung

"Denke nach, es könnte schlimmer kommen!" "Und ich dachte nach und es KAM schlimmer!" lautete ein bekannter Witz aus meiner Jugend. Der erste Teil jedoch beschreibt haargenau, was Irvine mit negativer Visualisierung meint. In jeder Lebenssituation ist es mir möglich meine Freude am Augenblick schlagartig zu erhöhen, wenn ich mir klarmache wie fragil unser Dasein ist. Vorstellungen wie "mein Kind könnte morgen tot sein!" oder "ich könnte genausogut im  Rollstuhl sitzen!" führen bei dosierter Anwendung (und der richtigen Schlußfolgerung daraus) nicht etwa zu Depressionen und sorgenvollem Grübeln, sondern zu erhöhter Wertschätzung dessen was man hat. Wie oft gehen uns unsere Kinder auf die Nerven wenn wir ehrlich sind?
Machen wir uns aber klar, dass eine Zeit kommen wird, in der wir jeden dieser nervigen Augenblicke liebend gerne nocheinmal erleben würden (und sei es auch nur weil sie erwachsen geworden sind!) steigt die Freude an unseren Kleinen sofort.
Auf diese Weise habe ich schon oft scheinbar langweilige Augenblicke, öde Tätigkeiten und stumpfsinniges Herumgesitze in Augenblicke der Lebensfreude verwandelt.

2) Die Trichotomie der Kontrolle

Meiner Meinung nach das Herzstück der Stoa. Epiktet teilt die Dinge dieser Welt auf in jene über die wir Kontrolle besitzen und jene, über die wir keine besitzen. Diese Zweiteilung wird bei Irvine zu einer sinnvolleren Dreiteilung, indem er sagt:

a) Es gibt Dinge über die besitzen wir keine Kontrolle, wie beispielsweise das Wetter, andere Menschen, Tod und Krankheit etc.
b) Es gibt Dinge über die besitzen wir die volle Kontrolle, nämlich unsere Ansichten und Handlungen (und das waren sie im Übrigen auch schon ;-)).

und

c) Es gibt Dinge über die besitzen wir nicht die volle Kontrolle, aber einen gewissen Einfluss. Als Beispiel nennt er ein Tennisspiel. Ich habe keine Kontrolle darüber ob ich dieses Spiel gewinne oder nicht, aber ich kann durch die entsprechende Vorbereitung meine Gewinnchancen erhöhen.
Da die Stoiker sich natürlich nicht von äußerlichen Dingen wie Sieg oder Niederlage abhängig machten empfiehlt Irvine hier die Internalisierung von Zielen. In dem gewählten Beispiel des Tennisspieles ist daher nicht der Sieg das Ziel, sondern einfach das beste Tennis zu spielen, das mir in diesem Moment möglich ist.

Laut den Stoikern rührt das meiste Leid der Menschen aus dem Hadern mit und der Sorge um Dinge die außerhalb unserer Kontrolle liegen. Und das sind ganz schön viele!

3) Fatalismus bezüglich Vergangenheit und unmittelbarer Gegenwart

Uhhhh...da ist es, das böse Wort. Ja, die Stoiker waren Fatalisten.Und nein, sie haben deswegen NICHT die Hände in den Schoß gelegt und alles dem Schicksal anheim gestellt. Ein Widerspruch? Nein, meint Irvine. Denn der Fatalismus der Stoiker bezog sich nur auf die Vergangenheit und die unmittelbar stattfindende Gegenwart. Genau genommen ist dies eine Anwendung der Trichotomy der Kontrolle (siehe oben). Denn sowohl die Vergangenheit als auch die jetztige Gegenwart sind Dinge die außerhalb jeglicher Kontrolle liegen. Allerdings beginnt meine, zumindest teilweise, Kontrolle bereits 1/2 Sekunde in der Zukunft.
Darum waren einige Stoiker (im Gegensatz zu dem Kyniker Diogenes) aktiv am Staatswesen und damit an der Zukunftsgestaltung beteiligt.

4) Selbstverleugnung, "the dark side of pleasure"

Noch ein böses Wort, "Selbstverleugnung" brrrrrr. In einem christlichen Kontext verursacht das Wort mir seltsamerweise Bauchweh und ich denke an salbungsvolle aufopfernde Nonnen und sich selbst zerstörende Verhaltensweisen. Bei den Stoikern jedoch schwingt etwas anderes mit, was man am ehesten als Training oder Vorbereitung bezeichnen könnte. Dinge wie zeitweise freiwillige Armut, Fasten, Schmerz ertragen und Selbstüberwindung im Sport haben weniger den Charakter eines himmlischen Tauschgeschäftes sondern sind ein Test für den eigenen Fortschritt im Stoizismus. Auf gar keinen Fall dürfen sie öffentlich gemacht werden um die eigene Überlegenheit unter Beweis zu stellen.
In seinem Handbuch sagt Epiktet an einer Stelle :"Wenn Du Durst leidest, nimm einen Schluck Wasser in den Mund, spucke ihn wieder aus und sage keinem was davon!"

5) Meditation im Sinne von Nachdenken und Selbstreflexion

Meditation im westlichen Kontext ist etwas anderes als die östliche Versenkung mit dem Ziel alle Gedanken vorbeiziehen zu lassen. Meditation bedeutet in diesem Zusammenhang: Über etwas nachdenken, reflektieren, von verschiedenen Seiten beleuchten. Und worüber dachten die Stoiker nach? Über ihren eigenen Fortschritt auf dem Weg zum stoischen Weisen. Bei Seneca gibt es eine regelrechte abendliche Gewissensprüfung anhand eines Fragenkataloges, während Mark Aurel ein Tagebuch mit Selbstermahnungen führte. Diese sind uns bis heute als seine "Selbstbetrachtungen" erhalten.

Wer auf Selbsterfahrung steht, und diese Techniken mal ausprobieren möchte, dem empfiehlt Irvine auf keinen Fall jetzt mit allen fünfen durchstarten zu wollen. Zunächst solle man es mal mit der negativen Visualisierung versuchen, und danach mit der Trichotomy der Kontrolle. Besonders in letzterem, konsequent zu Ende gedacht, liegt das Potential für einen Quantensprung im Denken. Versucht mal einen Arbeitstag lang, Euch nur um die Dinge Sorgen zu machen, die wirklich in Eurer unmittelbaren Kontrolle liegen, nämlich EUER Denken und EUER Handeln.

Das war natürlich nur ein oberflächlicher kurzer Abriss. Irvine ist in seiner Argumentation weitaus eloquenter, daher empfehle ich sein Buch wärmstens!

Hier gibt es übrigens noch einen Abriss des Buches aus einem anderen Blickwinkel!

Freitag, 20. September 2013

Zen und Stoa



Welches sind denn nun die angeblichen Parallelen zwischen Zen-Buddhismus, einer fernöstlichen Religion und der Stoa, einer verstandesbasierten griechisch-römischen Philosophie?
Folgendes gliedert sich in drei Abschnitte. Der erste Abschnitt zählt Positionen auf, in denen beide Weltanschauungen m.E. nach nahezu deckungsgleich sind. In Abschnitt zwei finden sich Positionen die einander sehr ähnlich sind, während Abschnitt drei deutliche Unterschiede aufzeigt.


1)     Deckungsgleiche Positionen

-         Erkenntnis und Akzeptanz der Vergänglichkeit aller Dinge
-         Relativierung von vermeintlichen Werten wie Erfolg, Macht, Reichtum und Gesundheit.
-         Es ist wichtiger sich selbst und seine Anschauungen zu ändern als die Welt.
-         Die Mässigung in Konsum und Lebensstil ohne übertriebene Askese.
-         Die Verbundenheit aller Dinge (Logos ß-> Indras Netz)
-         Der momentane Augenblick als wichtigster Punkt in der Zeit.
-         Wertschätzung harter körperlicher Arbeit (Musonius Rufus)


2)     Parallelen

Stoa
Zen(-Buddhismus)
Glück entsteht durch das Aufgeben der Begierden und naturgemäßes Leben.
Leidfreiheit entsteht durch das Aufgeben der Begierden.
Gott eher unpersönlich als Prinzip, das den Kosmos durchdringt
Gott mehr oder weniger gleichgültig
4 Tugenden
10 „Gebote“, „Übungen“, „Verpflichtungen“ für ein tugendhaftes Leben
Beobachtung und Wertschätzung der Natur zu Lernzwecken und zur Transzendierung allzu irdischer Gedanken.
Besondere Naturverbundenheit, ausgedrückt in verschiedenen, vom Zen inspirierten Künsten.
Was der Gemeinschaft gut tut ist auch gut für jeden Einzelnen
Die Gemeinschaft ist wichtiger als der Einzelne (wohl das jap. Erbe des Zen ;-))

3)     Unterschiede

Stoa
Zen-(Buddhismus)
Hauptinstrument ist die Vernunft unter Ablehnung des Irrationalen
Hauptinstrument ist „Zazen“ unter Ablehnung des Rationalen
Meditation im Sinne von Nachdenken und Selbstreflexion
Meditation  im Sinne von Versenkung und dem Vorbeiziehen lassen aller Gedanken
Kein Einräumen irgendwelcher Rechte für Tiere wegen derer vermeintlichen Vernunftlosigkeit
Mitleid für und Rücksichtnahme auf ALLE fühlenden Wesen.
Kein Rückzug aus der Welt in abgesonderten Gemeinschaften
Mönchtum zumindest teilweise erforderlich für die Ausbildung
Tätigkeiten sollen immer sinnvoll sein
Ideal der allerhöchsten Unnützlichkeit
Gemütsruhe als Ziel
Satori als Ziel