Sonntag, 27. April 2014

Stoa und Hedonismus - Zwei Seiten der gleichen Medaille

Lebt man die Stoa radikal als reines Streben nach Tugend, oder den Hedonismus als reines Streben nach Lust ohne bei Beidem Rücksicht auf körperliche und "seelische" Gesundheit zu nehmen, scheint es sich um unvereinbare Gegensätze zu handeln.
Dort allerdings, wo beide Weltanschauungen in eher gemäßigter Form auftreten, wird eine scharfe Abgrenzung schwierig.
Wenn

-  man als Mann von einer Frau mit diesem speziellen Blick angesehen wird, weil man sich inmitten einer Schlägerei gerade schützend vor sie gestellt hat, sprich Tapferkeit gezeigt hat,
- man als Vater nach einem anstrengenden Ausflug über dem Bettchen der selig schlafenden Tochter steht und unsagbares Glück verspürt,
- man sich als Arbeitnehmer nach dem Kurzurlaub im Spa-Ressort wieder darauf freut anzupacken und herausgefordert zu werden,

wird einem klar, dass Lust und Pflicht, Tugend und Freude oft Hand in Hand auftauchen, ohne dass man sagen könnte welches welchem nun voran geht. Über genau diese Frage gerieten sich allerdings stoisch oder hedonistisch beeinflusste Philosophen im Laufe der Jahrhunderte immer wieder in die Haare. Die Frage stellt sich jedoch, ob sie nicht einfach nur zwei unterschiedliche Blickwinkel auf ein und dieselbe Sache haben.

Wenn der Stoiker Seneca zum Beispiel den Reichtum als wünschenswert bezeichnet, ohne dass dieser seine Seele berühren würde, klingt er wie der Hardcore-Hedonist Aristipp, der von seiner Lieblingshure Lais sagt: "Ich besitze sie, werde aber nicht besessen!"

Auch die Hedonisten sind sich einig, dass man manchmal Unbill und Verzicht auf sich nehmen muss, um eine größere Lust zu erlangen oder einen größeren Schmerz zu vermeiden. So kann ein Hedonist durchaus auch im Krieg dienen, wenn er der Überzeugung ist, dadurch langfristig seine Freiheit, oder die seiner Kinder zu wahren, wenn z.B. ein freiheitlich-demokratisches Land von einer fundamentalistischen Diktatur bedroht wird.
Die ursprüngliche Hedonisten waren keinesfalls individualistische Anarchisten, vielmehr sahen sie den Staat als sinnvoll und naturgemäß an, sofern er garantierte dass "(...) wir vor den Menschen ohne Furcht leben können(...)."

Und ein vernünftiger Stoiker muss einräumen, dass ein Leben in freudloser Pflichterfüllung weit entfernt von dem ist, was man als "naturgemäß" bezeichnet.

Folgenden Satz Epikurs kann daher auch jeder Stoiker getrost unterschreiben:

Man kann nicht in Freude leben, ohne mit Vernunft anständig und gerecht zu leben; aber man kann auch nicht vernunftvoll, anständig und gerecht leben ohne in Freude zu leben.
Epikur-Hauptlehrsatz Nr. 5

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