Samstag, 19. September 2015

Hedonismus unter extremen Bedingungen

Es ist nicht der Stoiker, es ist der Hedonist, nicht nur der naive, sogar der epikuräisch-aufgeklärte, der einen guten Untertan abgibt, und sich wenig um die Änderung sozialer Missstände bemüht.
Aristipp u.a. erklären den Sinn der Tugenden rein inner-weltlich. So sorgt die Fairness im Umgang mit Mitmenschen beispielsweise für ein ruhiges Gewissen und guten Schlaf, für Freundschaft und gegenseitige Hilfsbereitschaft.
Das Halten der Gesetze schützt uns vor Unannehmlichkeiten wie Körperstrafen oder Gefängnis.

Es wäre von den antiken Philosophen zuviel verlangt, derart weitblickend gewesen zu sein, um die Diktaturen des 20 Jahrhunderts vorher zu sehen.
Diese zeichneten sich unter anderem durch die teilweise völlige Umwertung aller bestehenden Werte aus. Die Gesetze dienten nicht mehr dem Recht und dem Schutz der Bevölkerung vor Willkür, sondern waren selbst Ausdruck von Unrecht und Terror.
Plötzlich war es gut gegen Volksschädlinge besonders grausam vor zu gehen, plötzlich war es gut Kinder in die Gaskammer zu schicken oder "unzuverlässige" Elemente zu Tode zu foltern.

Ich frage mich wie Epikur oder ein "evolutionärer Humanist" wie Michael Schmidt-Salomon in einem solchen Regime gehandelt hätte. Und natürlich beziehe ich die Frage auch auf mich selbst.

Der Hedonismus, der keine weitere Funktion der Tugend kennt, außer einem möglichst viel Ruhe zu verschaffen, führt uns hier nicht weiter. Er funktioniert eben nur unter einigermaßen sicheren und wohlversorgten Umständen.

Auf Rückfrage aus dem Publikum während eines seiner Vorträge räumte der bekennende Hedonist Prof. Kanitscheider ein, Menschen unter Elendsbedingungen ohne Aussicht auf Besserung keine philosophischen Empfehlungen geben zu können. (Quelle)

Die Stoa dagegen erhebt den Anspruch auf eine Ethik, die jenseits von "Wohlfühlen" und Sättigung aller Grundbedürfnisse, einen Blick auf das Gute an sich wirft, und ihr Handeln daraus ableitet.


Samstag, 20. Juni 2015

Der Umgang mit Indifferentem


Für den Stoiker liegt das "Gute" und das "Schlechte" nur im eigenen Wollen und Streben. Als "Gut" zählen ausschließlich die 4 Kardinaltugenden Weisheit, Gerechtigkeit, Mäßigung und Tapferkeit. Die Kehrseiten dieser Tugenden, Narretei, Willkür, Unersättlichkeit und Feigheit sind "schlecht".
Da das was "Gut" oder "Schlecht" ist, per stoischer Definition auch unserer Kontrolle unterliegen muss,  treffen diese beiden Wertungen nur auf unser Handeln, unser Denken und unser Wollen zu.

Alles andere ist "indifferent".

Also Fußball, Arbeitsplatz, Freunde, Krieg, Kinder, Wetter, Verkehr, Urlaub, Garten, Chaos, Sex, Essen, Leben, Krankheit, Pornographie, Musik, Kleidung, Umwelt ...und, und,und.

Alles indifferent, also egal?

Nun gibt es natürlich unter all diesen Dingen auch die sogenannten "bevorzugten" Dinge, also die, die wir natürlicherweise bevorzugen. So präferiert auch der Stoiker Gesundheit vor Krankheit, Familie/ Freunde vor Einsamkeit und gesunde Nahrung vor Hunger leiden.

Aber was ist mit dem ganzen Rest? Karten spielen oder andere Hobbies? Sport und Vereinsarbeit? Politische Betätigung oder Briefmarken sammeln?
Legt der Stoiker hier die Hände in den Schoß und zieht sich aus allem zurück weil ein Fußballspiel zum Beispiel nichts mit seiner Tugend zu tun hat? Ist er quasi wie gelähmt, wenn nicht gerade eine Tugend gefragt ist?

Vor einiger Zeit habe ich irgendwo die schöne Metapher des Töpfers gelesen. Der Stoiker ist der Töpfer und die indifferenten Dinge sind der Ton mit dem er arbeitet. Der Töpfer kann sich vor seiner leeren Drehscheibe die schönsten Gefäße in allern erdenklichen Formen ausmalen.
Greift er aber nicht zum Ton und beginnt zu arbeiten, entsteht nichts Greifbares aus seinen Vorstellungen, und seien sie auch noch so erhaben.
 Umgekehrt hat der aber auch Ton auch keinen Wert an sich und keinerlei Intentionen, es ist ihm schlicht egal, was aus ihm wird.
Erst wenn der Töpfer den Ton auf seiner Drehscheibe bearbeitet, können aus ihm Teller, Töpfe, Krüge und andere Dinge von Schönheit und Wert entstehen.

Solange der Stoiker also still und passiv in seiner Kammer sitzt und die Hände in den Schoss legt, existiert seine Tugend nur irgendwo in seiner Vorstellung, im luftleeren Raum. Er kann die herrlichsten und ausgefeiltesten Definitionen der einzelnen Tugenden ersinnen, es bleibt doch nur Trug und Schein.
Erst in seinem Umgang mit den indifferenten Dingen bekommt er Gelegenheit seine Tugenden konkret zu verwirklichen und etwas von Wert zu schaffen.
Ein Fußballspiel zum Beispiel hat keinerlei Wert an sich. Erst wenn es von den Beteiligten im richtigen sportlichen Geist, getragen von Fairness, Selbstdisziplin, Tapferkeit und Akzeptanz des Ergebnisses ausgetragen wird, kann es ein "gutes" Spiel im stoischen Sinne werde.


Mittwoch, 17. Juni 2015

Wofür es sich zu kämpfen lohnt


Unter o.g. Titel erschien in der Zeitschrift "Hohe Luft", die sich der Philosophie verschrieben hat, ein Artikel, in dem es um die Gegenüberstellung von Gelassenheit und Engagement, bzw, Schicksalsergebenheit und Auflehnung gegen die äußeren Umstände geht.
Einen großen Teil des Artikels nimmt die Rezeption der Stoa und des Buddhismus ein.
Leider bedient auch hier der Autor die üblichen Vorurteile und Missverständnisse beider Weltanschauungen.
So wird der Stoiker als "hart aber nicht glücklich" und auch als nicht menschlich bezeichnet. Freiheit von Affekten wird gleichgesetzt mit emotionslos und auch Schopenhauer wird zitiert, der den stoischen Weisen als hölzernen, steifen Gliedermann bezeichnet, mit dem man nichts anfangen kann und der nicht weiß wohin mit seiner Weisheit(...)(der) dem Wesen der Menschheit vollkommen widerspricht.
Vor diesem Hintergrund fragt sich der Autor auch, ob der Stoiker nicht der perfekte Untertan ist, und sich beispielsweise gegen die Herrschaft der Nationalsozialisten auflehnen würde.

Den Stoikern ging es niemals um ein völliges Ausrotten aller EMOTIONEN, sondern um die Gefühle, die zerstörerisch auf die Person und ihr Leben einwirken. Dazu gehören z.B. übertriebene Angst, Panik, soziale Phobie, Neid, Missgunst, Hass etc.
 Das hat die Stoa übrigens mit der REVT gemeinsam, die durch vernünftige Reflektieren ihre Klienten von ungesunden zu gesunden Gefühlen führen möchte.
Don Robertson stellt in "Stoicism and the art of Happiness" heraus, dass der Stoiker zwar nicht versklavt werde durch seine Gefühle, das aber noch lange nicht bedeute dass er hartherzig und gefühllos sei. Ebenso wenig sei es das Ziel, gesunde und natürliche Gefühle wie Liebe, Freundschaft und Barmherzigkeit, aber auch Vorsicht, Ärger und begründetes Misstrauen auszuschalten.

"Wer liebt macht sich verletzlich" heißt es in dem Artikel, und weiter: "er liefert sich aus. Er hat nicht mehr alles unter Kontrolle!"
Wer hat behauptet, dass der Stoiker ALLES unter Kontrolle hat? Ganz im Gegenteil, die stoische Philosophie reflektiert am klarsten, was man alles NICHT unter Kontrolle hat.
Aber müssen Liebe und "sich ausliefern" zwangsläufig einander bedingen?

Meiner Meinung nach reduziert der Autor die Stoa zu sehr auf den Umgang mit Emotionen und Leidenschaften. Die Stoiker waren aber auch Befürworter von Ehe und Familie, von Freundschaft und Solidarität und sie sahen die Menschheit als große Familie an.

Vor diesem Hintergrund hätte ein Stoiker genug Gründe sich gegen ein brutales Regime wie den Nationalsozialismus aufzulehnen, nicht aus blinder Wut, sondern aus seinem Sinn für Gerechtigkeit heraus.
Und auch in der heutigen Welt hat man als Stoiker genug Gelegenheiten sich gegen Unrecht und unmenschlichen Umgang aufzulehnen. Natürlich weiß er immer, dass das Ergebnis seines Handelns nicht von ihm abhängt, sein Handeln selbst aber seiner vollen Kontrolle unterliegt.

Am Ende des Artikels kommt der Autor zu dem Schluss, dass sowohl Gleichmut als auch Eifer, Wut UND Vernunft zu einem erfüllten Leben gehören. Gerechtigkeit und Menschlichkeit seien Dinge für die es sich zu kämpfen lohne...auch wenn es aussichtslos zu sein scheint.

Richtig!
Und genau diese Haltung finde ich in der Stoa!

Dienstag, 16. Juni 2015

Resilienz

Neulich besuchte ich eine Fortbildung unter dem Titel "Resilienz- den Arbeitsalltag bewältigen".
Wie alle Fortbildungen dieser Art war der Vortrag eine wilde Mischung aus Psychologie, NLP, etwas Glücksforschung und Stoizismus.
Ja, tatsächlich, auch Lehren der Stoa waren in dem Thema versteckt, wenn auch unter anderen Stichworten.

So stellte die Dozentin beispielsweise die These auf, dass der sogenannte Burn-Out oder die Erschöpfungsdepression aus der mangelnden Kontrolle der Emotionen herrührt.
Welche Philosophie wäre also besser geeignet die eigenen Emotionen zu kontrollieren? Wohlgemerkt: kontrollieren, nicht unterdrücken!!!
So sollen wir zwar unsere negativen Emotionen wie Wut, Enttäuschung oder auch Neid wahrnehmen und benennen, es dann aber unterlassen weiter in ihnen zu schwelgen oder ihnen mit unserem Kopfkino neue Nahrung zukommen zu lassen. Wir lassen uns also nicht durch unsere Emotionen "versklaven" wie Zenon es einst ausdrückte.
Aber nicht nur unsere eigenen Emotionen sind zu managen, auch die der Anderen müssen wir aushalten. So fällt es uns unter anderem deshalb so schwer im Alltag Grenzen zu ziehen, weil wir damit bei anderen negative Emotionen produzieren.
Immer wenn wir eine Grenze ziehen, "Nein" sagen oder uns nicht beeinflussen lassen, nehmen wir einem anderen etwas weg. Wir müssen es also ertragen, dass der andere nicht glücklich ist. Allerdings liegt weder das Glück der anderen, noch deren Frustrationstoleranz in unserem Kontrollbereich. Natürlich bedeutet auch dies nicht hartherzig und egoistisch durchs Leben zu gehen, aber wir dürfen auch nicht auf der anderen Seite vom Pferd fallen und versuchen es jedem mit dem wir im Job Kontakt haben recht zu machen. Das wäre nicht nur unprofessionell sondern auch selbst-ausbeuterisch.

Bezüglich als negativ empfundener Situationen stellte sie Dozentin die bekannte Trichotomie

Change it or Love it or Leave it
(Ändere es, liebe es oder (Ver)lass es!)

vor. Bei Change it nähern wir uns wieder Epiktet, indem wir uns fragen müssen: was kann ich denn tatsächlich ändern? Laut ihm ist es nämlich nur mein eigenes Verhalten, meine Urteile und mein Wollen das ich ändern kann. Allerdings kann man das Potential kleiner Verhaltensänderungen seinerseits gar nicht groß genug einschätzen. 
Love it ist missverständlich, denn hier geht es nicht darum eine negative Situation tatsächlich zu "lieben", sondern darum einen Weg zu finden mit ihr zu leben. Ich kann eine Situation z. B. umdeuten. Angenommen eine Kollegin räumt permanent hinter mir her, seufzt vielleicht dabei noch oder schüttelt den Kopf über die vermeintliche oder tatsächliche Unordnung. Deutung A meinerseits könnte sein: "Blöde Kuh! Kehr vor Deiner Tür! Was geht's Dich an!" oder aber B: "Wie zuvorkommend, nett, hilfreich..." Hierbei geht es weniger um die "Wahrheit" als darum einen Weg zu finden mit der Situation so umzugehen, dass wir uns nicht daran aufreiben.
Leave it wiederum kann einen tatsächlichen Jobwechsel bedeuten oder aber eine Situation komplett los zulassen , so dass sie uns emotional weder positiv noch negativ beschäftigt.

Der letzte Punkt betrifft die Akzeptanz der Wirklichkeit, so wie sie nun mal im Moment ist. Auch hierbei müssen wir uns wieder die Frage nach unserem eigenen Kontrollbereich stellen. Wir haben keine Möglichkeit zu beeinflussen was JETZT in DIESEM Moment passiert. Ebensowenig können wir die Vergangenheit ändern. Erst in etwa einer halben Sekunde beginnt der Bereich auf den wir etwas Einfluss haben.
Die Kunden stürmen in Massen den Laden? Der Chef hat die mieseste Laune seit 5 Jahren? Trotz unserer besten Absichten und Bemühungen ging das Projekt in die Hose?
Es ist wie es ist. Das hier und jetzt ist der Moment in dem wir zeigen können ob wir nur Online-Philosophen sind oder ob unsere Anschauungen für die Wirklichkeit taugen.