Stoiker zu sein und sich mit antiker Philosophie zu befassen scheint im englischsprachigen Raum en vogue zu sein. Während deutschsprachige Veröffentlichungen eher rar und entweder zu akademisch oder zu wenig praxistauglich sind (wie das da), findet man eine Vielzahl englischsprachiger Veröffentlichungen, die sich alle dem Versuch widmen, die stoische Philosophie für den Alltag im 21. Jahrhundert fruchtbar zu machen.
Neben den fundierten und wirklich auf tiefer Ebene ansetzenden Werken von Prof. William Irvine und Donald Robertson finden sich aber auch leider Veröffentlichungen aus der Richtung der "Feelgoodism and Happiness"-Industrie.
Ryan Holiday ist für mich ein gutes Beispiel. Alle seine "Auslegungen" stoischer Texte atmen den Geist des "Glücksrezeptes". In gut amerikanischem Stil, ganz im Sinne von Dale Carnegie und Co, bringt er Beispiele aus der Gründer- und Unternehmerszene. Bei ihm habe ich den Eindruck, dass zuerst seine eigene Auffassung zu einer spezifischen Problematik da war, und er sich dann den (scheinbar) passenden, stoischen Aphorismus heraus gesucht hat.
Seine Motivation scheint dabei nicht die ethische Entwicklung der Persönlichkeit Richtung Tugend zu sein, sondern er wirkt vielmehr wie einer dieser "Tschakka du schaffst es!"-Motivationsgurus.
Dazu passt auch, dass er auf seiner Website Bücher rezensiert und bewirbt, die alles andere als den fairen, weisen, mutigen und gerechten Umgang des Lesers mit seinen Mitmenschen zum Inhalt haben.
Für Holiday ist daher logischerweise auch der Stoizismus nur ein Vehikel zur effektiveren Verfolgung beruflicher und persönlicher Ziele zu.
Nun ist das an sich nichts Verwerfliches. Im Gegenteil, sich Ziele zu setzen ist geradezu lebensnotwendig. Was mich an Holiday stört ist diese künstliche Welt von Erfolg, Untenehmertum und amerikanischem Traum in dem sich sein Ansatz zum Stoizismus bewegt. Tugenden scheinen nur wichtig zu sein, wenn sich damit Profit oder Leistungsfähigkeit steigern lassen.
Dieser Ansatz ist oberflächlich und banal.
Philosophie, wie ich sie verstehe, reicht viel tiefer. Sie will uns in den existenziellen
Situationen unseres Lebens (Verlust, Schmerz, Tod) Antworten und
Wegweisung liefern.
Radikal ausgedrückt: eine Philosophie fürs ganze Leben muss sich auch im KZ oder Gulag bewähren.
Die Stoa KANN glücklich machen, sie KANN auch beruflichen Erfolg unterstützen, aber weder des eine noch das andere ist ihr Hauptziel. Es wird Situationen in unserem Leben geben, wo wir uns zwischen guten Gefühlen und guten Taten entscheiden müssen.
Ich denke nicht dass James Stockdale in den Jahren seiner Gefangenschaft in irgendeiner Form von warmen Glücksgefühlen durchflutet wurde. Ich denke auch nicht, dass er darüber nachgedacht hat, ob das wirklich das Leben ist das er führen wollte, und ob nicht vielleicht nur sein mangelndes Selbstvertrauen einem gewagten Schritt in die Selbstständigkeit im Wege steht. Aber sein jahrelanges Studium von Epiktet (und natürlich auch seine militärische Ausbildung) haben ihm geholfen mit einer fürchterlichen Situation so umzugehen, dass er sich einen Rest an Freiheit bewahren und keine Schikane seiner Wärter ihn innerlich brechen konnte.
Hier können wir ein wenig erahnen, warum ein auf das Rad geflochtener Stoiker "glücklich" sein kann.
Zur Kontroverse um Ryan Holiday gibt es auch HIER einen interessanten Post, leider recht lange und auf englisch.
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