Freitag, 23. Dezember 2016

Beziehungen

Einsam, selbstgenügsam, in karger Umgebung mit einfachster Nahrung und schlichtesten Wohnbedingungen...und glücklich.
Das scheint die allgemeine Auffassung des Stoikers zu sein. In diesem Post möchte ich auf die Vorstellung des Stoikers als "einsamer Wolf" eingehen.
Selbst Menschen die sich mit der Stoa intensiv befasst haben, scheinen vor diesem Missverständnis nicht gefeit zu sein. Jules Evans schildert beispielsweise in seinem äußerst lesenswerten Buch "Philosophie fürs Leben" dass ihn seine Gemeinschaftserfahrungen auf dem Jakobsweg lehrten, dass Menschen nicht dazu in der Lage seien als "unbezwingbare, stoische Supermänner" durchs Leben zu gehen.

Ich gebe zu, dass durchaus Gefahr besteht die Stoa so zu verstehen. Immerhin scheinen es die Grenzerfahrungen des Lebens zu sein, in denen diese Philosophie so richtig aufblüht: Verbannung auf eine einsame Insel, Kriegsgefangenschaft in einem Folterlager oder der Befehl Suizid zu begehen.

Aber auch in unserem normalen Alltag kann es passieren, das wir beginnen den "einsamen Wolf" zu mimen, in der Meinung dies sei gut stoisch. Es kann aber auch unabsichtlich passieren, dass wir beginnen uns emotional von unseren Mitmenschen abzugrenzen.
Es gibt meines Erachtens vier Faktoren im stoischen Gedankengut, die uns dazu verleiten können in die Irre zu gehen:


1) Die Dichotomie der Kontrolle in Bezug auf Andere:

Mitmenschen können die Quelle größten Unbehagens sein. Gleichzeitig liegt die Gesamtheit ihres Verhaltens nicht in unserem Kontrollbereich. Neben Mark-Aurels berühmtem Zitat "Sage zu dir in der Morgenstunde...(Buch 2,1)" gibt es noch eine weitere Stelle in seinen Selbstbetrachtungen, die den daraus resultierenden emotionalen Konflikt spiegelt:

"Und wenn du darüber bersten solltest, sie werden immer gleich handeln." (Buch 8,4)
Wenn wir immer wieder enttäuscht werden, kann uns das dazu bringen, uns (wenn auch nur gedanklich) auf eine scheinbar höhere, zynische Warte zurück zu ziehen.  Bei scheinbar fehlender Anerkennung im Job kann sich das als "innere Kündigung" äußern. Wir reduzieren unser Engagement auf das Nötigste. Im Privatbereich werden wir vielleicht verbittert und lassen unsere Beziehungen allmählich erkalten
Und da die Stoa uns als Philosophie noch recht zu geben scheint, merken wir nicht, dass wir hier fehl gehen.
Anstatt uns aus Angst vor negativen Emotionen aus der Gesellschaft auszuklinken sollten wir uns immer wieder daran erinnern, dass die Pflicht zu unseren Nächsten eine konstruktive Beziehung zu bauen nicht von deren Verhalten abhängig ist. Genauso sollte der Wille eine gute Arbeit zu leisten nicht von Wertschätzung und Dankbarkeit abhängen. Mehr dazu HIER.
Die Stoa legt Wert auf ein nützliches und tätiges Dasein in der Mitte der Gesellschaft. Das ummauerte Gärtchen überlassen wir den Epikuräern.


2) Liebe, Freundschaft und Beziehungen als Indifferentes

Ja richtig, trotz aller Wertschätzung der Menschheit als Kosmopolis, als weltweite Gemeinschaft, sehen Stoiker Ehe, Liebe, Sex und Freundschaft als indifferent an, d.h. ohne Bezug zum "glücklichen" Leben. Das ist auch nur logisch, denn all diese Dinge unterliegen NICHT unserer direkten Kontrolle. Ich kann mich zwar aktiv auf die Suche nach einer Partnerin machen, meine Attraktivität erhöhen etc., aber OB ich wirklich eine Partnerin finde, kann ich nicht steuern.
Hier gibt es einen schmalen Grat zwischen der Vorstellung, dass der Stoiker mit Einsamkeit klar kommen sollte, und der Vorstellung dass der Stoiker die Einsamkeit anstreben sollte.

Bücher, Filme Dramen sind voller einsamer Helden die es mit der ganzen Welt aufzunehmen bereit sind. Einsamkeit wird uns auch manchmal als besonders erstrebenswerter Geisteszustand vermittelt, der den Menschen seinem Innersten Wesen näher bringt. Aber Einsamkeit kann auch Stress verursachen und Depressionen fördern. Untersuchungen in dieser Richtung legen nahe, dass wir manchmal mehr Abstand suchen als uns gut tut. Konstruktive Verbindungen zu unserer Umwelt, Beitrag zum Gesamten und Anteilnahme an unseren Mitmenschen sind Grundwerte der Stoa und können tatsächlich zu höherer Zufriedenheit beitragen.
Trotzdem gilt natürlich: Besser einsam als in schlechter Gesellschaft. Beziehungen die destruktiv sind, auf Ausbeutung und Unterdrückung beruhen sind abzulehnen.

3) Mitleid als unerwünschte Leidenschaft

Uns durch das Leiden eines anderen niederdrücken zu lassen, also mit zu leiden, wird von den Stoikern als unerwünschte Leidenschaft angesehen.


Sie (die Krankheit des Mitleides-ZS) ist ein Gebrechen eines schwachen und geringen Gemüts, das zusammenbricht wenn es sieht dass es einem anderen schlecht geht.
Justus Lipsius; De Constantia Buch 1 Kapitel 12

 Insbesondere im Christentum gilt Mitleid als Tugend. Da wir dazu neigen eher die inneren Voraussetzungen einer Tat zu beurteilen als die Tat selbst, scheint eine aus Mitleid begangene Handlung irgendwie verdienstvoller zu sein, als wenn ich die gleiche Handlung aus, sagen wir mal, Pflichtgefühl begehe. Und noch einen Schritt weiter scheint die Empfindung von Mitleid einen schon irgendwie als guten Menschen zu adeln, selbst wenn man keinen Handstreich tut um dem Bemitleideten zu helfen. So wird aus einer folgenlosen, negativen Emotion im Handumdrehen eine Tugend gemacht.

Wenn wir hier nun auf halbem Weg stehen bleiben, könnte man meinen es werde von uns stattdessen erwartet kalt und unberührt vom Schicksal anderer durchs Leben zu gehen.

Stattdessen stellt der oben zitierte Justus Lipsius dem Mitleid  die Barmherzigkeit gegenüber, die er als die eigentliche Tugend betrachtet. Barmherzigkeit wendet sich tatkräftig und mit Weisheit dem Nächsten zu. Um zu helfen, zu trösten und aufzubauen ohne sich von dessen Affekten anstecken zu lassen. (Inwieweit das tatsächlich möglich ist sei mal dahin gestellt. Mir geht es in diesem Post nur darum, dass wir nicht vor lauter Seelenruhe unsere Mitmenschen vergessen.)

4) Negative Visualisierung

Wie schon geschildert habe ich so meine Probleme mit der negativen Visualisierung. Als Dankbarkeitsübung praktiziert kann sie Dir echt den Tag retten, wälzt man sich allerdings zu sehr in der allgemeinen Unsicherheit des Daseins verkehrt sich der positive Effekts schnell ins Gegenteil.
Wenn Epiktet sagt, dass man sich beim Küssen seines Kindes daran erinnern soll dass man einen Toten küsst, läuft es mir kalt den Rücken herunter.*
Auch hier kann man fehl gehen, wenn als Folge dieses Gedankens eine Art innere Abschottung gegen Gefühle der Liebe zu diesem Kind geschieht. Ich glaube nach den Erfahrungen die Epiktet machte ging es ihm möglicherweise wirklich um eine Art emotionaler Versteinerung gegen die Geschicke des Lebens, ich selbst möchte aber nicht derart unberührt durchs Leben gehen. Gerade Liebe und Freundschaft sind mit durchaus erwünschten Affekten verbunden.
Ich denke diese Übung ist dann sinnvoll, wenn ich als Folge davon die Augenblicke mit meinem (zugegebenermaßen manchmal ganz schon nervigem) Kind nicht als Selbstverständlichkeit ansehe, sondern als etwas kostbares und fragiles in vollen Zügen genieße.


FAZIT: Die Stoa will uns nicht zu einsamen Supermännern machen. Sie sieht in der Beziehungspflege zum Mitmenschen eine naturgemäße Pflicht. Liebe, Ehe, Freundschaft sind zwar "indifferent", gehören aber zu den "bevorzugten" Gleichgültigkeiten. Ihre Sicht auf die Welt ist die einer kosmischen "Polis" in der alle Menschen füreinander sorgen sollten.
Trotzdem gibt es in der Beschäftigung mit stoischem Gedankengut Gruben und Fallstricke, die einen hart, unnahbar und eigenbrötlerisch werden lassen können. Auf diese gilt es zu achten.


* Allerdings war zu Epiktets Zeiten die Anzahl und die Sterblichkeit der Kinder um ein Vielfaches höher als heute, so dass der Verlust eines Kindes eher Alltag war und nicht die existenzielle Krise wie heute in der westlichen Zivilisation.

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