Sonntag, 27. April 2014

Das hedonistische Paradox

Das hedonistische Paradox bedeutet grob gesagt:
Je mehr ich versuche aus einer Tätigkeit ein Lustgefühl zu gewinnen, je mehr ich mich darauf versteife, desto weniger wahrscheinlich werde ich tatsächlich dieses Lustgefühl erlangen.

Gehe ich zum Beispiel Laufen mit dem festen Vorsatz ein Runner's High zu erleben, oder mache ich Zazen und will mal wieder ein "Kensho" genießen, werde ich kläglich scheitern. Je konzentrierter und aufgabenbezogener, je weniger ich-bezogen ich dagegen eine Tätigkeit ausführe, desto eher komme ich in den "Flow" und erlebe das dazugehörige Glücksgefühl. Und wenn es mir beim Zazen gelingt alles fallen zu lassen (und dann noch das "alles fallen lassen" fallen zu lassen ;-)), was eben nichts anderes bedeutet als eben Zazen konzentriert und aufgabenbezogen auszuüben, erlebe ich was Versenkung heißt.

Aber ist der Hedonismus deswegen widerlegt? Bedeutet das nun, dass das Suchen von Lust bzw. das Vermeiden von Unlust als letztendliches, sich selbst genügendes Ziel hinfällig ist?

Ich denke nicht.

Wenn wir beim Beispiel des Laufens bleiben, und ich mich frage warum ich laufe, finde ich folgende Antworten

1) wegen des geilen Gefühls danach
2) wegen der Aussicht etwas sportlicher und fitter, und damit gesünder, leistungsfähiger und attraktiver für das andere Geschlecht zu sein
3) wegen der stressreduzierenden Wirkung

Ich finde keineswegs die Antwort:
Weil die reine Tätigkeit des Laufens so toll ist.
Alle drei Antworten laufen aber auf die Aussicht des Lustgewinns bzw. die Vermeidung von Unlust (3) hinaus.
Ich denke, wenn wir das was wir tagsüber tun genauer untersuchen, werden wir immer wieder feststellen, dass wir mit unserer Tätigkeit letztlich Lust suchen oder Unlust vermeiden. Dieser Mechanismus kann sich durchaus komplex tarnen, so zum Beispiel in helfenden Berufen. Viele Helfer sehen nicht, dass ihr Beruf auch einen Lustgewinn durch Machtausübung, Überlegenheitsgefühle ("besser als die egoistische Gesellschaft") und Befriedigung von Abenteuerlust (Polizei, Feuerwehr) mit sich bringt.
Ebenso versprechen alle Religionen für den Verzicht und die Aufopferung im Diesseits einen ewigen Lustgewinn im Leben oder Seinszustand im Jenseits.
Besonders schön beschreibt dies der Koran:

Sure 52,17-24
    17 Die gottesfürchtigen dagegen befinden sich dereinst in Gärten und in einem Zustand der Wonne
    18 und erfreuen sich dessen, was ihr Herr ihnen gegeben hat. Und ihr Herr hat sie vor der Strafe des Höllenbrandes bewahrt.
    19 Zu ihnen wird gesagt: ,Eßt und trinkt und lasst es euch wohl bekommen! Ihr erhaltet dies alles zum Lohn für das, was ihr in eurem Erdenleben getan habt.'
    20 Sie liegen behaglich auf Ruhebetten, die in Reihen angeordnet sind. Und wir geben ihnen großäugige Huris als Gattinnen.
    21 Und mit denjenigen, die im Diesseits gläubig waren, und denen ihre Nachkommenschaft im Glauben gefolgt ist, vereinigen wir im Paradies diese ihre Nachkommenschaft wieder. Und wir schmälern ihnen nichts von ihren Werken. Jedermann haftet für das, was er in seinem Erdenleben begangen hat.
    22 Und wir versorgen sie reichlich mit köstlichen Früchten und Fleisch, allem möglichen wonach sie Lust haben.
    23 Sie greifen in Paradies einer um den andern nach einem Becher mit Wein, bei dem man weder betrunken wird und dummes Zeug daherredet noch sich versündigt.
    24 Und Burschen, die sie bedienen, so vollkommen an Gestalt als ob sie wohlverwahrte Perlen wären, machen unter ihnen die Runde. 

Darum greifen auch alle Konzepte und Systeme, die die Lustgefühle auszuklammern versuchen und an eine Art übergeordneter Verantwortung appellieren ins Leere. Seien dies der Kommunismus, Katholizismus oder auch ein radikaler Stoizismus.
Zu letzterem noch zwei Beispieel:

1) Die Stoa empfiehlt eine einfache, geschmacksarme Kost, da es naturgemäß sei, dass der Mensch isst um sich zu ernähren und nicht um Lust zu empfinden.

Logisch oder? Wissen wir alle!

Das bedeutet also, dass ein Baby deswegen isst, weil seine Vernunft ihm sagt, dass sein Körper Nahrung braucht. Ebenso ein Tier!

Natürlich ist das Quatsch! Wir essen, weil wir ab einem gewissen Hungergrad Unlust empfinden, und die Nahrungsaufnahme uns dann Lust bereitet. Dass der Zweck dieses Lust-Unlust-Geflechtes der Erhalt der körperlichen Funktionen ist, wissen wir auf rein intellektueller Ebene.

Wenn Menschen im Sterbeprozess sind , ist oft ihr Hunger- und Appetitgefühl bereits sehr früh ausgeschaltet. Und dann kann nichts und niemand, keine sorgende Ehefrau, kein intellektuelles Wissen um die Funktion der Nahrung diesen Menschen davon überzeugen zu essen.

2) Genausowenig kann im Katholizismus der Glaube, das Gottvertrauen oder die Angst vor der Hölle die Priester davon abhalten ihrem Sexualtrieb zu folgen und im günstigsten Falle eine Affäre mit einem Erwachsenen zu beginnen oder im schlinmmsten Falle Kinder sexuell zu mißbrauchen. Die Aussicht auf sexuelle Lust ist offensichtlich stärker als alle religiösen Überzeugungen. Man darf hier nicht den Fehler machen, diese Priester pauchal des Unglaubens zu bezichtigen.
Die Psychologin Anna Salter, die beruflich mit Triebtätern arbeitet zitiert einen Geistlichen der seine eigenen Enkel missbraucht hatte folgendermaßen:

Ich habe mein Gewissen nicht eingelullt(...)Ich glaube, dass wenn ich, ein zutiefst gläubiger und religiöser Mensch, mit ganzem Herzen und ganzer Seele davon überzeugt gewesen wäre, das (...)die Hölle mich verschlingen würde, ich hätte trotzdem weiter gemacht!

Anna Salter- "Dunkle Triebe", Goldmann Verlag ,Seite 120


     
     


Stoa und Hedonismus - Zwei Seiten der gleichen Medaille

Lebt man die Stoa radikal als reines Streben nach Tugend, oder den Hedonismus als reines Streben nach Lust ohne bei Beidem Rücksicht auf körperliche und "seelische" Gesundheit zu nehmen, scheint es sich um unvereinbare Gegensätze zu handeln.
Dort allerdings, wo beide Weltanschauungen in eher gemäßigter Form auftreten, wird eine scharfe Abgrenzung schwierig.
Wenn

-  man als Mann von einer Frau mit diesem speziellen Blick angesehen wird, weil man sich inmitten einer Schlägerei gerade schützend vor sie gestellt hat, sprich Tapferkeit gezeigt hat,
- man als Vater nach einem anstrengenden Ausflug über dem Bettchen der selig schlafenden Tochter steht und unsagbares Glück verspürt,
- man sich als Arbeitnehmer nach dem Kurzurlaub im Spa-Ressort wieder darauf freut anzupacken und herausgefordert zu werden,

wird einem klar, dass Lust und Pflicht, Tugend und Freude oft Hand in Hand auftauchen, ohne dass man sagen könnte welches welchem nun voran geht. Über genau diese Frage gerieten sich allerdings stoisch oder hedonistisch beeinflusste Philosophen im Laufe der Jahrhunderte immer wieder in die Haare. Die Frage stellt sich jedoch, ob sie nicht einfach nur zwei unterschiedliche Blickwinkel auf ein und dieselbe Sache haben.

Wenn der Stoiker Seneca zum Beispiel den Reichtum als wünschenswert bezeichnet, ohne dass dieser seine Seele berühren würde, klingt er wie der Hardcore-Hedonist Aristipp, der von seiner Lieblingshure Lais sagt: "Ich besitze sie, werde aber nicht besessen!"

Auch die Hedonisten sind sich einig, dass man manchmal Unbill und Verzicht auf sich nehmen muss, um eine größere Lust zu erlangen oder einen größeren Schmerz zu vermeiden. So kann ein Hedonist durchaus auch im Krieg dienen, wenn er der Überzeugung ist, dadurch langfristig seine Freiheit, oder die seiner Kinder zu wahren, wenn z.B. ein freiheitlich-demokratisches Land von einer fundamentalistischen Diktatur bedroht wird.
Die ursprüngliche Hedonisten waren keinesfalls individualistische Anarchisten, vielmehr sahen sie den Staat als sinnvoll und naturgemäß an, sofern er garantierte dass "(...) wir vor den Menschen ohne Furcht leben können(...)."

Und ein vernünftiger Stoiker muss einräumen, dass ein Leben in freudloser Pflichterfüllung weit entfernt von dem ist, was man als "naturgemäß" bezeichnet.

Folgenden Satz Epikurs kann daher auch jeder Stoiker getrost unterschreiben:

Man kann nicht in Freude leben, ohne mit Vernunft anständig und gerecht zu leben; aber man kann auch nicht vernunftvoll, anständig und gerecht leben ohne in Freude zu leben.
Epikur-Hauptlehrsatz Nr. 5

Montag, 7. April 2014

Paradigmenwechsel

Zugegeben. Die Krim-Krise war und ist auch meine Krise. Vor dem Hintergrund eines internationalen Konfliktes, der schlimmstenfalls in einen Atomkrieg mündet, stellte ich mir erneut die Frage, wofür es sich eigentlich zu leben lohnt.

Gibt es höhere Ziele? Werte?
Gibt es eine Entwicklung der Welt auf eine höhere Stufe?
Gibt es Dinge die kostbarer sind als das eigene Leben?

Oder taumeln wir ziellos, grundlos durch ein kaltes, leeres, mitleidloses Universum?

Zugegeben: Wünschen würde ich mir ersteres, glauben tue ich allerdings letzteres.
Warum ich mir dann keinen Strick nehme? Interessanterweise hat der Gedanke an die letztliche Sinnlosigkeit des Daseins für mich etwas ungemein tröstliches. Und während ich vor weingen Jahren noch dachte, dass dies ein unheimlich moderner Gedanke wäre, war es doch schon der gute alte Epikur, der die Menschen mit solchen Gedanken tröstete.

Ja, nach ernsthaftem Nachdenken und Selbstprüfung habe ich festgestellt, dass meine eigene Position den Epikureern näher steht als den Stoikern. Ich glaube nicht, dass es irgendeinem Menschen möglich ist, etwas zu tun, wenn er sich nicht letztlich eine Steigerung von Lust oder eine Vermeidung von Unlust davon verspricht. Elliot Smith wäre eigentlich der perfekte Stoiker (oder Vulkanier) gewesen, in Wahrheit war er aber völlig lebensunfähig.

Erfahrungen und Dogmen

Ich habe in eibem vergangenen Post ziemlich leichtfertig den Begriff kensho gebraucht. Das könnte nahelegen, dass ich ein überzeugter, praktizierender Zen-Buddhist bin, der genau weiß wovon er spricht.
Das ist jedoch nicht der Fall. Ich denke man muss unterscheiden zwischen Methoden und Dogmen.
Egal ob es sich um Zen, die Stoa oder irgendwelche anderen Weltanschuungen handelt. Auf der einen Seite stehen die Methoden, die unter Umständen zu Erfahrungen führen, auf der anderen Seite stehen die Dogmen, die behaupten die Welt und alles was darinnen ist hinreichend erklären zu können.
Vermischt man beides, schlittert man vielleicht in ein (Denk-)System rein, das einem anfangs einige schöne Erfahrungen und Erfolgserlebnisse bietet, an dessen übersteigerten Ansprüchen man aber letztlich scheitern muss. Und der unermüdlichste Antreiber mit den überzogensten, hehrsten und perfektionistischsten Ansprüchen sind wir leider meistens selbst.

Was meine ich mit Trennung zwischen Methoden und Dogmen? Eine Erfahrung, die ich vielleicht mittels einer bestimmten Methode wie Zazen oder Techniken aus der Stoa mache steht erst einmal für sich selbst. Sie lässt sich nicht wegleugnen oder wegdiskutieren, für den der sie gemacht hat ist sie eine Tatsache. Beginne ich allerdings diese Erfahrung mit den Begriffen eines bestimmten Denksystems zu interpretieren, hole ich mir möglicherweise die (unbewiesenen) Dogmen dieses Systems mit ins Boot. Denn: Wenn die Methode zur angekündigten Erfahrung führt, muss das dahinterstehende System wahr sein, oder?

In einem Buch über Zen wird der Begriff Kensho beschrieben als ein tiefes Berührtsein durch einen Gegenstand des Alltags. Das kann eine Blume, ein Vogelzwitschern oder meinetwegen auch ein frischer, dampfender Hundehaufen sein. Dieser alltägliche Gegenstand bringt in uns etwas zum Klingen, ein Gefühl des Friedens vielleicht, eine Eins-Sein mit allem und ähnlich unbeschreibliche Empfindungen. Soweit die reine Beschreibung der Erfahrung
Dann aber beginnt der Bereich der religiösen Dogmen, indem das Buch folgendermaßen fortfährt: Diese Erfahrung rühre her von einer Reinigung des Geistes, man befinde sich zu diesem Zeitpunkt im Samadhi und werfe einen Blick auf die WAHRE Natur der Dinge!
Folgende, unbeweisbare Behauptungen stecken in diesem kleinen Abschnitt:

- Der Alltagsgeist ist unrein und kann durch Zazen porentief gereinigt werden, dann erst kommt der wahre Geist zum Vorschein.
- Es gibt eine WAHRE Natur der Dinge, die irgendwie viel friedvoller und mystischer ist, auf die man einen Blick erhaschen kann.

Den Bereich der reinen Erfahrung haben wir hier verlassen, und nehmen die Dogmen eines Zen auf uns, das trotz anderslautender Behauptungen in Europa weit verbreitet ist. Dieses beinhaltet Annahmen, die den Praktizierenden zu permanenter Selbstbespiegelung führen, beispielsweise ob er auch schon fühlt und ist, wie man als "Zennie" zu sein hat.  Es beinhaltet einen Dualismus zwischen unserem bösen Eggo(sic!) auf der einen Seite und dem strahlenden, intuitiven Zengeist, der alles richtig macht, auf der anderen.
Und wenn man sich irgendwie unwohl fühlt bei der ganzen Geschichte hilft nur eines: Noch mehr Zazen!

Ich sehe die ganze Geschichte systemischer und eklektischer: Hilft mir eine Methode, ein Gedanke oder eine Praxis mich besser zu fühlen, dann hat sie damit ihre Berechtigung. Ein Gott, ein reiner Geist, eine wahre Natur der Dinge, kurz alles was in den Bereich metaphysische Spekulationen gehört, ist damit noch lange nicht bewiesen.




Hedonismus-besser als sein Ruf!

Und Epikur hat doch recht!

Es muss mit 16 gewesen sein, als ich das erste Mal im Ethik-Unterricht vom Hedonismus gehört habe. Der Weg zum Glück gehe über das Suchen von lustvollen und das Vermeiden von schmerzhaften Gefühlen. Klang logisch! Allerdings auch viel zu einfach! Jetzt, 24 Jahre später, nach Jahren der Beschäftigung mit Religionen wie Buddhismus, Zen, Christentum, und Philosophie, insbesondere Stoizismus, Objektivismus und dem radikalen Konstruktivismus, erscheint mir der philosphische Hedonismus als einzig sinnvolle, durch Logik erkennbare Grundlage zu einem glücklichen Leben.
Lust und Freude sind das einzige, aus sich selbst heraus erstrebenswerte Gut. Wird man gefragt, warum man diese oder jene Strapazen auf sich nimmt, und man antwortet sinngemäß: "Weil es mir Freude/ Spaß/ Lust bereitet!", so ist der Fragesteller im allgemeinen befriedigt.
Ich glaube auch, dass jeder der behauptet "reinere" oder "hehrere" Motive für sein Handeln zu haben, entweder lügt oder einer Selbsttäuschung unterliegt. Selbst derjenige, der sich aus christlichen Motiven "selbst verleugnet" tut dies, weil er mit ewiger Seligkeit im Jenseits rechnet.

Nicht einmal Gott muss man dienen ohne Aussicht auf Belohnung.- Lorenzo Valla